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Westfalenpost: Schonungslos

Hagen (ots)

Merkels bemerkenswerte Regierungserklärung
Von Winfried Dolderer
Zu Beginn ihrer zweiten Amtszeit hat die Kanzlerin einen Blick in den
Abgrund getan und das Publikum daran teilhaben lassen. Hat eine 
"schonungslose" Analyse in Aussicht gestellt, und gleich dazugesagt, 
was ihrer Ansicht nach nur dabei herauskommen kann, nämlich, dass die
Lage so ernst ist wie selten zuvor. Und niemand meinen soll, es werde
bald aufwärts gehen, im Gegenteil.
 Mit voller Wucht, so Merkel, habe die Krise uns noch gar nicht 
getroffen, die Probleme würden erst größer, bevor es wieder besser 
werden könne, und zudem würden im globalen Poker um Wohlstand und 
Macht jetzt die Karten neu gemischt, dabei könne Deutschland 
erfolgreich sein, aber genauso gut scheitern.
 Was sich daneben in dieser Regierungserklärung an Ermutigendem fand,
Worte wie Zusammenhalt, Vertrauen, Zuversicht, Motivation, das 
verblasste schier angesichts der dramatischen Alternative: Entweder 
wir irren uns, dann ist der Fehler nicht wiedergutzumachen, oder wir 
liegen richtig, dann führen wir das Land zu neuer Stärke. Alles oder 
nichts.
 Auf diesen Tenor ist ja auch das Programm gestimmt, mit dem die 
Regierung angetreten ist. Sie hat sich auf eine riskante, nach 
Merkels Worten mutige Wette eingelassen, die die Kanzlerin gestern 
ausdrücklich als alternativlos nochmals verteidigte: Steuern senken 
ohne Rücksicht auf Schulden in der Hoffnung auf neues, schnelles 
Wachstum. Am eigenen Schopf aus dem Sumpf also, was bislang freilich 
nur beim Baron Münchhausen geklappt hat. Schuldenmachen und 
Schuldenbremse sollen einander nicht mehr widersprechen, sondern 
bedingen: Die Koalitionäre zeigen den Mut zur Quadratur des Kreises.
 Sind die starken Kanzlerinnenworte gedacht, um eigene Unsicherheit 
angesichts dieses Kurses zu übertönen? Manches, was sie gestern als 
beschlossene Sache verkündete, der Steuer-Stufentarif etwa, ist in 
Wahrheit in der Koalition ja keineswegs unumstritten.
 Merkels dramatische Lageschilderung hat jedenfalls noch einen 
weiteren Effekt: Wer so redet, schraubt angesichts des beschriebenen 
gigantischen Ausmaßes der Probleme die Erwartungen an den Erfolg der 
Regierung auf ein Mindestmaß herunter. Die Menschen können dann 
eigentlich nur noch positiv überrascht werden.

Pressekontakt:

Westfalenpost
Redaktion

Telefon: 02331/9174160

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