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Westfalenpost: Türkische Komplexe

Hagen (ots)

Merkels Therapiestunde in Ankara
Von Winfried Dolderer
Wollte er den Gegnern eines türkischen EU-Beitritts täglich neue 
Argumente liefern, Recep Tayyip Erdogan könnte sich nicht 
überzeugender gebärden. Türkenhass unterstellt er neuerdings der 
Kanzlerin, nachdem diese seiner befremdlichen Idee nichts hat 
abgewinnen können, in Deutschland ein paralleles türkischsprachiges 
Bildungswesen zu installieren. Erdogans Ausfälle sind in politischen 
Kategorien kaum noch zu beschreiben. Der Mann entpuppt sich zusehends
als nationalistischer Paranoiker.
 Ein Gemütszustand, der sich aus der Entstehungsgeschichte der 
modernen Türkei durchaus erklären lässt. Deren Gründer waren beseelt 
vom Ressentiment der Demütigung des niedergehenden Osmanischen 
Reiches durch die europäischen Mächte, die sich im 19. Jahrhundert 
als Schutzherren der christlichen Untertanen des Sultans aufspielten.
Das Gefühl, von Europäern geschurigelt, missachtet und verkannt zu 
werden, gehört seit langem zur seelischen Grundausstattung der 
türkischen politischen Elite.
 Die Kanzlerin war also gestern in Ankara mit besänftigender Rhetorik
als Therapeutin unterwegs. Freilich, wer im 21. Jahrhundert einen 
Platz in der EU begehrt, sollte vielleicht auch ohne gutes Zureden 
seine historischen Komplexe überwinden können. Wenn statt dessen 
Erdogan in reinster Blut- und Boden-Diktion die türkische Diaspora in
Europa als politische Verfügungsmasse reklamiert, so ist dies 
sicherlich kein Beitrag, das Vertrauen der Europäer in den 
EU-Aspiranten Türkei und dessen harmlose Absichten nachhaltig zu 
stärken. Um das Mindeste zu sagen.

Pressekontakt:

Westfalenpost
Redaktion

Telefon: 02331/9174160

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