Westfalenpost: Kommentar zu Gauck
Bundespräsident
Wir ziehen den Hut
vor dem Pfarrer vom Ölberg
Von Stefan Hans Kläsener
Hagen (ots)
In der evangelischen Himmelfahrtskirche auf dem Jerusalemer Ölberg stand gestern ein evangelischer Pfarrer und rief zum Frieden auf. Das ist nichts Ungewöhnliches, denn in der Himmelfahrtskirche von Jerusalem sprechen öfter evangelische Pfarrer, und sie sprechen auch öfter deutsch. Und in der Regel rufen sie zum Frieden auf, sonst wären sie schlechte Theologen. Nun war dieser Mann aber der deutsche Bundespräsident, und er wählte seine Worte am Ende eines langen Staatsbesuchs. Er wählte sie als Bilanz einer Visite, die ihn zur Gedenkstätte der Shoah führte, die ihn mit dem Staatspräsidenten und Friedensnobelpreisträger Shimon Peres zusammenbrachte wie auch mit dem Regierungschef Benjamin Netanjahu. Sie führte ihn gestern ins Westjordanland zu einer Mädchenschule, sie führte ihn zum Palästinenserpräsidenten Mahmud Abbas, zu dessen Regierungschef Salam Fajad. Und immer traf Joachim Gauck, um den es hier geht, den richtigen Ton. Einen einfühlsamen Ton, der Sympathie mit der Not der Palästinenser, aber auch Solidarität mit den Existenzängsten der Israelis spüren ließ, die Angst vor Raketen und Angst vor Kriegen und Angst vor Anschlägen und Angst vor ihren Nachbarn haben. Und dabei selbst, das gehört zur Wahrheit im Nahen Osten dazu, Angst und Schrecken bei ihren Nachbarn verbreiten. Gauck hat den Israelis, die derzeit die Stärkeren sind, ins Gewissen geredet und sie dennoch nicht vor den Kopf gestoßen. Er hat den Palästinensern Mut gemacht, nicht ohne sie an ihre Hausaufgaben zu erinnern: Sie müssen auch etwas gegen Radikalisierung und Fanatismus unternehmen, und zwar am besten mit Bildung. Man staunt, mit welch traumwandlerischer Sicherheit dieser Pfarrer aus Rostock seine Aufgabe bewältigt. Man zieht den Hut vor seiner Trittsicherheit und sprachlichen Originalität. Spätestens jetzt fühlt man sich wohl, von diesem Bundespräsidenten vertreten zu werden.
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