Westfalenpost: Stefan Hans Kläsener zu Mauerfall und Pogromnacht
Hagen (ots)
Günter Schabowski ist ein Mann, der einem heute noch Respekt einflößt, auch wenn er alt und krank ist. Der Mann, der durch eine Kommunikationspanne der SED-Kader binnen Minuten die Mauer zerbröselte, hat Weltgeschichte geschrieben und zugleich bitter büßen müssen. Er ist ein Wendeverlierer, er wurde verurteilt und saß in Haft, er schlug sich im tiefen Osthessen als Hilfsarbeiter bei einem Anzeigenblatt durch. Und er ist eine der wenigen SED-Größen, die sich im Nachhinein reuig zeigten und bekannten, dass sie sehr viel falsch gemacht haben. Die Beichte hat er vielfältig abgelegt, auch im Gespräch mit dem Stasi-Unterlagen-Beauftragten Joachim Gauck, der heute unser Bundespräsident ist. Gauck, der Pfarrer, nahm Schabowski, dem Sünder, die Beichte ab. Das ist irgendwie rührend, es ist aber ein wichtiger Bestandteil unserer Geschichte und Bestandteil des Glücks, das wir im November 1989 erleben durften. Ein jeder wird noch wissen, was er in den dramatischen Stunden gedacht hat, bis es denn Gewissheit war: Die Mauer ist weg Schuld und Sühne Dem Bürgerrechtler Gauck wird die Vergebung leichtgefallen sein, weil Schabowski erstens seine Fehler nach und nach bekannt hatte und zweitens dafür bezahlt hat. Das ist nicht bei allen Tätern der DDR, die in jenem Staat Unrecht begangen haben, der Fall. Es gab Hochmütige, die Menschenleben auf dem Gewissen hatten, beispielsweise bei der Stasi und in den Geheimdiensten. Und es gab die Realitätsverweigerer, die immer wieder krasse Menschenrechtsverletzungen relativieren wollten mit dem Hinweis: "Es war ja nicht alles schlecht." Noch ein Datum der Schuld Das Thema Schuld in der deutschen Geschichte benötigt an diesem Wochenende zwingend aber noch ein anderes Datum: November 1938. Da zogen Braunhemden durch die Straßen, schlugen Scheiben ein, plünderten, prügelten, mordeten. Sie warfen Klaviere aus dem Fenster und bereicherten sich an dem, was die jüdischen Nachbarn in ihren Kommoden bewahrten. Nachher, als Deutschland in Schutt und Asche lag, war der Jammer groß. Und wiederum gab es die Realitätsverweigerer, die den Holocaust relativieren wollten mit dem Hinweis: "Es war ja nicht alles schlecht Beide Phasen der Schuld trennt ein großer Unterschied, der aus ideologischen Gründen gern von der einen oder anderen Seite verwischt wird: Die DDR schuf Unrecht aus einer völlig verfehlten Antwort auf die Nazi-Zeit und die kommunistischen Allmachtsphantasien. Die Nationalsozialisten hatten von Anfang an das Böse, Rassistische, Antisemitische im Sinn und gewannen dennoch erschreckend viele Unterstützer in der Bevölkerung. Man soll die beiden Systeme nicht gleichsetzen, auch nicht gegeneinander ausspielen. Die Frage ist nur, woher das Unrecht im einen und das Unrecht im anderen Falle herrührte. Doppeldeutiges Mit dieser Frage werden sich die Deutschen, so lange es sie als Volk gibt, beschäftigen müssen. Denn so wenig vergleichbar das Glück im November 1989 und das Leid im November 1938 sind - wir tun gut daran, beider Jahrestage im Zusammenhang zu gedenken. Die deutsche Geschichte kann man im Nachhinein nicht von ihrer Doppeldeutigkeit heilen.
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