Westfalenpost: Das Leben ist nicht berechenbar Von Jost Lübben
Hagen (ots)
Niklas bleibt nicht ohne Folgen. Der Sturm, der am Mittwoch mit Urgewalt über Nordrhein-Westfalen hinwegfegte, hat uns etwas vor Augen geführt. Er zeigt, dass wir unser Leben nicht immer und überall selbst in der Hand haben. Von einem Tag auf den nächsten kann alles anders werden. Im günstigen Fall kommen wir nur zu spät oder gar nicht zur Arbeit, weil ein Orkan die öffentlichen Verkehrsmittel lahm gelegt hat. In anderen Fällen verändert sich das Leben dramatisch, im schlimmsten Fall endet es. Das hat der Flug 4U9525 bitter gezeigt.
In zu vielen Ländern hat das Leben der Menschen an diesem Osterfest jede Normalität verloren - und zwar auf Dauer. Zuviel ist in den vergangenen Monaten und Jahren geschehen. Mitten in Europa zahlt die griechische Bevölkerung den Preis für eine lange verfehlte Politik der Regierung und das egoistische Handeln einer kleinen reichen Oberschicht. Noch immer sieht es nicht so aus, dass hier wirklich von allen Beteiligten gemeinsam nach einer Lösung gesucht wird. Wahre Solidarität sieht anders aus.
Am Rande Europas ist die Ukraine mitten in einer kriegerischen Auseinandersetzung. Das Land zerfällt, die Menschen verlieren ihre Existenzgrundlage. Wir alle können nur hoffen, dass der mühsam verhandelte Waffenstillstand von Dauer ist. Syrien ist ein Land, das längst in Auflösung begriffen ist, in den nordafrikanischen Staaten gibt es nach dem erfolgreichen Kampf gegen die Diktatoren weder stabile noch wirklich demokratische Verhältnisse.
Immerhin, die furchtbare Terrorherrschaft des Islamischen Staats scheint durch das Zusammenwirken von vielen Verbündeten endlich an eine Grenze zu stoßen. Dies ist ein Beispiel für gemeinsames Handeln in Zeiten von Bedrohung und Not. Es ist eine schöne Erfahrung, dass diese Extreme uns auch vor Augen führen, wie groß die Hilfsbereitschaft der Mitmenschen sein kann. Als der Sturm Niklas die Menschen in ganz NRW für einen Tag aus der Bahn warf und viele nicht wussten, wie sie nach Hause kommen sollten, da hielten auf einmal alle zusammen. Es bildeten sich spontan Fahrgemeinschaften, in anderen Fällen wurde für Kollegen das Gästezimmer oder das Sofa einfach freigeräumt.
Aus den Ländern, in denen Krieg, Zerstörung oder wirtschaftliche Not herrschen, flüchten Tausende nach Deutschland, ein großer Teil von ihnen kommt nach NRW und Südwestfalen. Sie bleiben nicht nur für eine Nacht, sie können nicht am nächsten Tag nach Hause in ihren Alltag zu ihren Familien zurückkehren. Häufig gibt es das alles gar nicht mehr. Es ist ein Zeichen von Solidarität, dass diese Flüchtlinge in unserem Land Sicherheit finden. Zur Wahrheit gehört es aber auch zu erwähnen, dass diese Gastfreundschaft nicht an jedem Ort und in jeder Gemeinde gleich groß ist. Manche haben Angst vor Fremden, manche empfinden selber wirtschaftliche Not.
Und genau das sollten wir in den Ostertagen nicht vergessen: Nicht allen Menschen geht es in der wohlhabenden Industrie-Nation Deutschland gleich gut. Auch in NRW sind viel zu viele auf staatliche Unterstützung angewiesen. Sie leben von Hartz IV. Die große Mehrheit ist ohne eigenes Verschulden in diese Situation geraten und möchte schnell wieder aus eigener Kraft den Lebensunterhalt bestreiten. Das ist eine Frage der Würde. Denn nur, wenn es uns selber gut geht, können wir auch gut zu anderen sein.
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