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Westfalenpost: Eine besondere Begegnung Von Joachim Karpa

Hagen (ots)

Ein Namensschild sucht der Besucher vergebens. Bei Prominenten dieser Kategorie nicht ungewöhnlich. Nach zweimal Klingeln öffnet sich die Haustür. Der Hausherr, ohne gelben Pullunder, taxiert sein Gegenüber und konstatiert: "Wir haben einen Termin." "Ja, haben wir. Karpa, Westfalenpost." "Kommen Sie herein. Trinken Sie Kaffee?" "Ja." "Gehen Sie durch." Hans-Dietrich Genscher verschwindet in der Küche, hadert hörbar mit der Kaffeemaschine. Er ist allein zu Hause. Es ist Dienstag, der 28. September 1999, in einem Villenviertel in Wachtberg-Pech bei Bad Godesberg. Wir wollen über den 30. September 1989 reden. Der Tag, an dem er als Außenminister den DDR-Bürgern vom Balkon der deutschen Botschaft in Prag verkündet, dass sie ausreisen dürfen. Der Tag jährt sich zum zehnten Mal. Sein Satz "Wir sind heute gekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass heute ihre Ausreise möglich geworden ist" geht im Jubelschrei der 4000 Flüchtlinge unter. "Es war einer der bewegendsten Momente in meinem politischen Leben", sagt der damals 72-Jährige. Seit gut sieben Jahren ist er nicht mehr im Amt. "Zumal ich selbst die DDR 1952 verlassen hatte." Der FDP-Politiker hat die Einzelheiten präsent, erzählt so, als sei es gestern gewesen. Zwei Alternativen bietet er der DDR-Führung damals an: "Entweder Konsularbeamte kommen in die Botschaft und stempeln die Pässe der DDR-Bürger ab, oder die Menschen reisen mit Sonderzügen über das DDR-Gebiet aus." Zu seiner Überraschung entscheidet sich die DDR-Führung für die Züge: "Diese Entscheidung sprach für einen großen Realitätsverlust. Es war doch klar, dass die Fahrt der Züge mit Flüchtlingen durch die DDR heftige Emotionen auslösen würde." Ihm selbst geht die Wende buchstäblich ans Herz. Mit Herzrhythmusstörungen quält sich Genscher in die Botschaft, am 20. Juli hatte er einen Herzinfarkt erlitten. "Die Menschen wirkten apathisch, es war eine bedrückende Atmosphäre." Die politische Wirkung des Auszugs der Flüchtlinge ist ihm klar: "Früher oder später musste die Mauer fallen." Die Bilder der Sonderzüge melden sich zurück. Er zaubert die Vergangenheit in die Gegenwart. Zwei Stunden Zeitgeschichte auf dem Sofa. Eine besondere Begegnung. Unvergessen - auch 17 Jahre später.

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