Westfalenpost: Machtmensch und europäischer Idealist - Zum Tod von Helmut Kohl
Hagen (ots)
Kein anderer hat so lange wie er regiert - als Bundeskanzler prägte Helmut Kohl das Deutschland der 1980er und 90er Jahre. Seine politische Lebensleistung ist untrennbar mit der deutschen Einheit verbunden. Die Einheit wäre unmöglich gewesen, hätte Kohl nicht in den europäischen Hauptstädten, aber auch in Washington und Moskau erfolgreich für Vertrauen geworben. Das kann man ihm nicht hoch genug anrechnen, schien doch eine mögliche deutsche Vereinigung für mehr als nur eine Generation in weite Ferne gerückt zu sein. Die vollständige Anerkennung dieser politischen Großtat, zu der vor allem auch die nachhaltige deutsche Integration in Europa zählt, wurde Helmut Kohl im Grunde erst lange nach dem Ausscheiden aus dem Kanzleramt zuteil. Er war der wohl am stärksten unterschätzte Spitzenpolitiker der Nachkriegszeit - und dabei der erfolgreichste. Polarisierender Machtmensch Ohne jeden Zweifel zählte der Christdemokrat auch zu denjenigen, die am stärksten polarisierten und am konsequentesten um ihre Machtposition kämpften. 16 Jahre verteidigte er von 1982 bis 1998 das Kanzleramt - im harten politischen Geschäft ist das eine Ewigkeit. Innerhalb und außerhalb der eigenen Partei ging der Rheinland-Pfälzer durchaus rüde mit Kritikern ins Gericht und etablierte ein System, das seinen Namen trug. Der Oggersheimer stand für einen Regierungs- und Lebensstil, den die einen als Stabilität empfanden, die anderen sahen in der Kohl-Ära Stillstand und Enge. Die Einheit stärkte seine Position. Doch kurz zuvor - im Jahr 1989 - war der Widerstand auf dem Parteitag in Bremen deutlich geworden. Kohl setzte sich in der CDU gegen seine Widersacher Heiner Geißler, Rita Süssmuth und Lothar Späth durch. Kohls Mädchen und eine politische Niederlage Es ist bemerkenswert, dass Helmut Kohl schließlich seine größte politische Niederlage durch jene Frau zugefügt bekam, die er 1990 als "Kohls Mädchen" ins Kabinett holte und die wohl bald länger regieren wird als er selbst. Angela Merkel positionierte sich 1999 gegen den CDU-Ehrenvorsitzenden. Der ehemalige Kanzler hatte sich geweigert, die Namen der Geldgeber illegaler Parteispenden zu nennen und warf tief verletzt hin. Das abrupte Ende dieser einzigartigen politischen Karriere zeigt beispielhaft, wie empfindsam der vermeintlich so hartleibige Mann tatsächlich war, wenn er sich ungerecht behandelt fühlte. Das galt nicht nur für manche Medien, mit denen er nicht sprach. Das galt auch für die politische Linke, die ihn gern als "Birne" verspottete und dabei übersah, dass er die Grenzen in Europa einriss. Noch einmal: Hier liegt das wohl größte Verdienst des europäischen Idealisten. Abrechnung mit politischen Gegnern Anfang der 2000er Jahre rechnete Kohl hart mit jenen Christdemokraten ab, von denen er sich in der Parteispenden-Affäre verraten fühlte. Dazu zählte auch Angela Merkel. Es dauerte sehr lange, bis diese Wunden verheilten. Gut, dass die beiden ewigen Kanzler am Ende wieder ein bisschen zueinander fanden. Schließlich pflegt Merkel im Grunde einen ähnlichen Regierungsstil wie ihr Vorgänger. Mit Helmut Kohl verliert Deutschland einen Staatenlenker und Visionär. Zudem einen charismatischen Politiker, wie er in die heutige Zeit kaum mehr zu passen scheint. Manchmal wünschen wir uns solche Männer und Frauen in der Politik zurück - die ebenso kantig wie unverwechselbar sind.
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