Westfalenpost: Jost Lübben zum Jahreswechsel
Hagen (ots)
Schon am Ende des Jahres 2016 war klar, dass unsere Demokratie ihre Gemütlichkeit verloren hat. In einer Zeit, in der sich die Briten auf den Weg machten, Europa zu verlassen, und Rechtspopulisten allerorten zunehmend Erfolge feierten, brauchte es eine neue Energie und eine neue Leidenschaft. Dies, und das ist ein Jahr später die durchaus bittere Erkenntnis aus 2017, gilt nach wie vor. Mehr noch. Die Entwicklung hat sich verschärft. Spätestens die Bundestagswahl mit dem Erstarken der Alternative für Deutschland (AfD) hat gezeigt: Es fehlt ein Mittel gegen die Angst vieler Menschen. Denn das Spiel mit der Angst ist der entscheidende Treibstoff für den Erfolg dieser neuen Partei und ihrer Apologeten. Sie hat vielerlei Gründe. Manche fürchten sich davor, ihren Arbeitsplatz zu verlieren oder in der zunehmenden Digitalisierung der Welt keinen Platz zu finden. Andere treibt die Angst vor jenen um, die aus unterschiedlichen Motiven aus vielen Ländern zu uns kommen. Weil die Gründe so vielfältig sind, ergreifen Angst und Unwohlsein Menschen aus allen gesellschaftlichen Schichten. Und wer sich unverstanden fühlt oder kein Gehör findet, der entwickelt Zorn, Wut und Enttäuschung. Es ist ein Zorn auf die Politik, auf die Medien und auf den Staat, den wir erleben. Wundern darf sich darüber eigentlich niemand. Doch klar ist auch: Wer sich dem Zorn hingibt, trägt nicht zur Lösung, sondern zur Spaltung bei. Leidenschaft für die Sache Der Weg zur Lösung führt über eine neue Form der Leidenschaft für die Sache. Er führt über eine neue Form der politischen Auseinandersetzung, in der die Demokraten endlich wieder die Ärmel hochkrempeln und bei ihren Debatten ins Schwitzen geraten. Im Jahr 2018 geht es um eine Abkehr von dem Schauspiel, das uns die in sich zerstrittene CDU/CSU geliefert hat oder ein vor sich hin lavierender SPD-Spitzenkandidat Martin Schulz. Die Liste der beteiligten Parteien ließe sich verlängern. Im Ergebnis werden wir möglicherweise zu Ostern eine neue Bundesregierung erleben, die erneut als Große Koalition daherkommt. Der Bundespräsident hat zweifellos Recht, wenn er den zähen Prozess der Regierungsbildung in Form und Inhalt als Katastrophe betrachtet. Die Demokratie hält das aus. Das aber ist in Zeiten wie diesen eindeutig zu wenig. Es schadet der Glaubwürdigkeit. Und es hat das Ende der Bundeskanzlerin Angela Merkel eingeläutet, die in zwölf Jahren Amtszeit lange versäumt hat, klar zu sagen, wofür sie steht. Und genau darum geht es. Es geht um neue Antworten auf viele Fragen. Zu nennen sind das mangelhafte Bildungssystem, das dem Wirtschafts- und Industriestandort Deutschland nicht angemessen ist, der Umgang mit Zuwanderern und Flüchtlingen oder mit der demografischen Entwicklung, die ganz konkret das ländliche Südwestfalen betrifft. Neue Gesichter und neue Ideen Dazu gehören auch neue Gesichter. Emanuel Macron hat in Frankreich vorgemacht, wie es aussehen kann, wenn sich jemand unverbraucht und mit Leidenschaft in die Debatte stürzt und für Europa einsetzt. Diese Haltung des "dafür" und nicht des "dagegen" macht den Unterschied zu Donald Trump, Brexit und AfD aus. Die Veränderung unseres Lebens lässt sich nicht durch Abschottung aufhalten. Das beste Mittel gegen die Angst ist, klar zu sagen, wie genau die Veränderung gestaltet werden soll. Klar und unverwechselbar. Das trägt auch die Möglichkeit des Scheiterns in sich. Aber davon lebt die Demokratie.
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