Westfalenpost: Man bewegt sich Pokern, bluffen, täuschen: Berlin tagt
Hagen (ots)
Von Bodo Zapp
"Die Gespräche haben in einer guten und konstruktiven Atmosphäre stattgefunden". Man staunt und wundert sich. Vor Tische hörten sich Äußerungen über die Gegenseite gänzlich anders an. Gerne wäre man beim ersten Abtasten der Spitzen von Union und SPD dabei gewesen. Persönliche Nichtachtung "mit allem Respekt" hätte nicht überrascht. Vielleicht sind Politiker ohne Kameras und Mikrophone ja wirklich anders. Bahnt sich da etwa eine Koalition der großen Parteien an? Glaubt man den Äußerungen, halten das Christdemokraten und Sozialdemokraten durchaus für möglich. Vorausgesetzt, das Kanzleramt wird von ihnen besetzt. Was eigentlichdas Ende der "Sondierungen" bedeuten könnte, bevor sie richtig angefangen haben. Weil aber Bluffen und Täuschen zum Machtpoker gehört, ist das erste Wort nicht das letzte. Es besteht die Gefahr, bei den Berliner Anbandelungstreffen den Überblick zu verlieren. Fassen wir deshalb noch einmal zusammen, was nach der Wahl politische Sache ist: Rot-Grün wurde abgewählt. Die Union erhielt auch einen kräftigen Denkzettel, bekam aber mehr Stimmen als die SPD. Dies wird von ihr zu Recht als Auftrag zum Versuch einer Regierungsbildung unter Bundeskanzlerin Angela Merkel gewertet. Gerhard Schröder gibt sich als Sieger. Irgendwer müsste ihm sagen, dass die Sache mit des Kaisers neuen Kleidern aufgeflogen ist. Fast konnte man den Eindruck gewinnen, er wolle selbst bei einer Koalitions-Mehrheit der anderen den Schlüssel zum Kanzleramt nicht mehr hergeben. Versuche, CDU und CSU nicht als Fraktion sondern als völlig getrennte Parteien einzustufen, sind durchsichtig und verwegen. Das wäre ein Bruch mit allen parlamentarischen Gepflogenheiten. Allerdings: Verstimmung über das doppelte Auftreten von CDU und CSU etwa in Fernsehrunden ist nachvollziehbar. Nur hat das nichts mit der Ausgangslage bei der jetzigen Regierungsbildung zu tun. Dass hinter den Kulissen der Union heftig über Merkel und ihren Wahlkampf diskutiert wird, darf trotz aller Dementis vermutet werden. Aber sie ist die Nummer 1. Die Union darf nicht zulassen, dass sie von Schröder herausgezockt wird nach dem Motto: Wenn ich nicht kann, darf die auch nicht. Ob am Ende des Verhandlungspokers doch ein Joker-Kompromiss herauskommt? Ausschließen kann man nichts. Nicht einmal, dass FDP und Grüne nie gesehene Gemeinsamkeiten entdecken.
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