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NRZ: Eine scheinheilige Gesellschaft - ein Kommentar von CORNELIA FÄRBER
Essen (ots)
Wieder so ein schäbiger, alternder Mann, der geglaubt hat, sich mit Geld und Macht alles leisten zu können. Jahrelang ist Filmproduzent Harvey Weinstein um junge Frauen herumgeschleimt, war unflätig und übergriffig, hat verlangt und bekommen, unfreiwillig, halb-freiwillig und - freiwillig. Armes Hollywood! Armes Hollywood? Was für eine scheinheilige Gesellschaft offenbart sich hier! Nirgendwo sonst geht es anscheinend so geschlossen zur Sache, wie in der Welt der Stars und Sternchen, der roten Teppiche und Besetzungscouchen in schummrigen Lounges. Wenn sich erst jetzt Darstellerinnen in Legionenstärke unter dem Label "#meToo", ("ich auch") als Missbrauchsopfer bekennen, dann ist man zwar empört, fragt sich jedoch mit seinem gesundem Menschenverstand, warum in Dreiteufelsnamen sie so etwas so lange haben mit sich machen lassen? Wenn eine junge Schauspielerin nackt gecastet werden soll, wenn der feiste Produzent "massiert" werden möchte, auch wenn er stalkt, bettelt und droht - sie muss "es" nicht tun. Wir leben schon seit geraumer Zeit in den 2000er-Jahren und es steht jeder Frau frei, zu gehen, zu reden, sexuelle Belästigung anzuzeigen, von Vergewaltigung mal ganz abgesehen, auch und gerade in den USA. Allein - die meisten Opfer verbaler und sexueller Übergriffigkeit haben geduldet, geschwiegen, viel zu lange, zu schön eben doch die Aussicht auf Erfolg, Geld, Karriere, eine Rolle in einem tollen Film... Was für eine scheinheilige Gesellschaft sich doch offenbart! Nirgendwo sonst verkauft sich sexualisierte Schönheit so gut, wie im Film-, Model- und Musikgeschäft, und nirgendwo sonst sind Frauen so konsequent auf ihr Äußeres reduziert. Premieren sind High-Heel-Defilees der ewigen Jugend mit aufoperierten Wangen, Lippen, Busen und Hintern, präsentiert in tiefen Ausschnitten, alle süchtig nach Applaus. Dabei soll kein Täter hier entschuldigt werden, der das Erscheinungsbild einer Frau als Einladung versteht. Aber Schauspielerinnen, Popstars, YouTube-Prinzesschen sind in ihrer vermeintlichen Makellosigkeit, ihrer Niedlichkeit oder Vulgarität eben auch Vorbilder für Mädchen und junge Frauen - nicht umsonst ist die sexistische Kaderschmiede "Germany's Next Topmodel" so erfolgreich. Junge Mädchen, die sich viel gefallen lassen, nur um ein Model zu werden, sind vor allem eines nicht - nämlich wehrhaft. Dabei müssen sie in dieser traurigen, post-feministischen Zeit eben gerade dies wieder lernen: "Nein" zu sagen, besser noch - es herauszubrüllen!
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