Neues Deutschland: zur Vertrauensfrage in Kiel
Berlin (ots)
SPD-Fraktionschef Ralf Stegner blieb sich treu. Nicht nur, dass er seine nicht ganz freiwillige Wandlung vom Koalitionspartner zum Oppositionsführer umgehend in Rede-Reihenfolge wie -Zeit ummünzte. Auch in Stil wie Inhalt zeigte er wenig von seinem angeblichen Harmoniebedürfnis, das der Sozialdemokrat unlängst über sich selbst zu Protokoll gegeben hat. Dass dem Kieler CDU-Ministerpräsidenten Peter Harry Carstensen beim Stegnerschen Stakkato der Vorwürfe bisweilen auf seinem Stuhl unbehaglich wurde, entging freilich keiner Fersehkamera. Das ihm bescheinigte kleine politische Karo hat er noch lächelnd weggesteckt. Die Rücktrittsforderung war ihm nicht neu. Und Schäbigkeit, mangelnde Kompetenz, Verantwortungslosigkeit, fehlendes Durchsetzungsvermögen, Stillosigkeit wird auch in anderen deutschen Parlamenten beim jeweiligen politischen Konkurrenten ausgemacht. Nur, dass Carstensen bei der Gardinenpredigt seines Kontrahenten auch noch diverse Ausflüge in die Literatur über sich ergehen lassen musste, hat dem Bodenständigkeit pflegenden Landesvater ganz augenscheinlich gestunken. Eine Parallele zu Max Frischs »Biedermann und die Brandstifter« hie, eine Replik auf Georg Kreislers »Schein und Sein« da - und schließlich auch noch Goethes Torquato Tasso: »Ist's redlich, so zu handeln? Bist du nicht reich genug?« Stegner zog alle Register, um Carstensen einen Vorgeschmack auf den Wahlkampf zu geben: Mit dem üblichen Politikergeschrei in Bierzelten und auf Feuerwehrfesten will er es nicht bewenden lassen. Ob die Schleswig-Holsteiner derlei bildungsbürgerliche Ansprüche jedoch honorieren werden, wird sich zeigen. Hat Stegner seinen Tasso gelernt, weiß er auch: »Erlaubt ist, was gefällt.«
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