Neues Deutschland: zur Frankfurter Buchmesse
Berlin (ots)
Die Frankfurter Buchmesse hat begonnen. Merkwürdig, dass immer im Dickicht das Ende des Waldes beschworen wird. Denn wieder schwärt die alljährliche Frage nach der Zukunft des Buches. Hans Magnus Enzensberger hat die gute Literatur als Stecknadel bezeichnet. Gefällt mir: Stecknadeln halten länger als Weltreiche. Da mag der Heuhaufen noch so groß sein. Da mag also der Haufen Heu noch so groß sein, den man mit modernen Medien verdient - die Stecknadel Poesie bleibt ganz ruhig. Das Buch sei bald anachronistisch? Also hält es durch, denn Anachronismen sind Meister der Ausdauer. Das Geräusch der Säge sagt nichts über die Dicke des Astes, auf dem die Poesie gelassen sitzt: Sie hat so viele Flügel, dass sie sogar Flügel verleiht. Das vor allem, wenn um sie herum vieles am Boden liegt. Stets lag das gute alte Buch quer zur Neurose der Kulturkritiker, Poesie fände leider kaum mehr den Weg an den Kiosk, wo Menschen Autoatlas, ND oder »Bild« kaufen. Aber jenes Buch, in dem Poesie zu erfahren ist, war seit jeher eine Kostbarkeit für Abirrende von den Hauptströmen. Weil aber die Hauptströme bleiben, bleiben auch Abirrende. Gute Literatur ist Minderheitenschutz und -privileg und -bedürfnis. Also: Weltmacht. Poesie: etwas Göttliches an der Menschenart, und so ruft sie: Fürchtet euch nicht - es wird weiter gelesen! Nur wer zur Messe fährt, wird wenig Zeit dazu haben. Aber sollte deshalb nicht gleich (wieder) von Endzeiten raunen.
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