Ludwig-Maximilians-Universität München
Neun Forschende erhalten hochdotierte ERC-Grants
München (ots)
- Insgesamt neun Forscherinnen und Forscher aus verschiedenen Fachbereichen haben erfolgreich zusammen mit der LMU je einen Consolidator-Grant des Europäischen Forschungsrats (ERC) eingeworben
- Mit Consolidator Grants unterstützt der ERC exzellente Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dabei, ihre innovative Forschung weiter auszubauen
- Die Auszeichnung ist mit einer Förderung von bis zu zwei Millionen Euro für einen Zeitraum von fünf Jahren dotiert
Quantendynamik, Medienforschung, Genetik, Politikwissenschaft, Astronomie, Medizin und Kunstgeschichte: Insgesamt neun Forscherinnen und Forscher aus verschiedenen Fachbereichen haben erfolgreich zusammen mit der LMU je einen Consolidator-Grant eingeworben. Die Auszeichnung ist mit einer Förderung von bis zu zwei Millionen Euro für einen Zeitraum von fünf Jahren dotiert. Mit Consolidator Grants unterstützt der Europäische Forschungsrat (ERC) exzellente Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dabei, ihre innovative Forschung weiter auszubauen und zu konsolidieren. Grundlage für die Entscheidung des ERC bei der Vergabe der prestigeträchtigen Grants ist die wissenschaftliche Exzellenz der Antragstellenden sowie des beantragten Projekts.
Verbesserte Kartoffeln züchten
Professor Korbinian Schneeberger ist Leiter der Arbeitsgruppe "Genome Plasticity and Computational Genetics" an der Fakultät für Biologie und Arbeitsgruppenleiter am Max-Planck-Institut für Pflanzenzüchtungsforschung in Köln. Er untersucht, wie und in welchem Ausmaß sich Genome verändern und wie sich diese Veränderungen auf den Phänotyp auswirken.
Die Kartoffel ist eine der drei wichtigsten Nahrungspflanzen der Welt. Trotzdem konnte sie in den letzten 150 Jahren nur begrenzt verbessert werden. Grund dafür ist das komplexe Genom der Pflanze, die vier Kopien jedes Chromosoms besitzt, was wichtige Ansätze der Pflanzenzucht erschwert. Die Erzeugung von Kartoffeln mit nur noch zwei Chromosomen-Kopien könnte die Zucht neuer Sorten vereinfachen, wird bisher jedoch durch die große Zahl schädlicher Mutationen im Kartoffelgenom behindert.
Mit seinem Projekt BYTE2BITE (Unlocking the complex genomes of European potatoes for modern breeding) will Schneeberger diese Probleme überwinden. Dazu will er die gesamte genomische Diversität der Kartoffel analysieren und diese Ressource nutzen, um neue Tools für eine effiziente Typisierung und Analyse der Kartoffel entwickeln. Mit diesen Tools soll dann ein genomikgestütztes Pre-Breeding-Programm eingerichtet werden, das das Kartoffelgenom von den Mutationen aus der Vergangenheit befreit, und so effizientes Kartoffelzüchten ermöglicht, was zur globalen Ernährungssicherung für die nächsten Jahrzehnte beiträgt.
Korbinian Schneeberger promovierte am MPI für Entwicklungsbiologie in Tübingen. Anschließend übernahm er die Leitung der Arbeitsgruppe "Genome Plasticity and Computational Genetics" am MPI für Pflanzenzüchtungsforschung in Köln. 2019 übernahm er zusätzlich eine Professur an der LMU.
Kleine Social Media Plattformen im Blick
Sahana Udupa ist Professorin für Medienanthropologie an der LMU und wurde vom Europäischen Forschungsrat bereits zur Politik digitaler Medien mit einem ERC Starting Grant und anschließend einem Proof of Concept Grant gefördert.
Lange standen vor allem die großen Social Media Plattformen im Fokus der gesellschaftlichen Debatte zu Hassrede und Demokratiegefährdung. Doch spätestens seit Elon Musk mit seiner eigenwilligen Politik zur freien Meinungsäußerung Nutzer auf kleinere Plattformen wie Mastodon vertrieb, geraten auch diese als alternative Wege für progressive Diskurse ins Blickfeld. In der Zwischenzeit haben kleine Plattformen in einigen Zusammenhängen auch ausgrenzende Narrative begünstigt, zum Beispiel hat die rechtsextreme Bewegung Britain First ihren Einfluss auf die Mikroblogging-Seite Gab ausgebaut. LMU-Professorin Udupa Sahana wird daher im Rahmen von SMALLPLATFORMS (Beyond the Big Tech: Contentious Speech on Small Platforms) erstmals diese kleinen Plattformen in einem kulturübergreifenden Rahmen erforschen, der Befragungen vor Ort und online genauso in Deutschland, Großbritannien, Kenia und Indien umfasst. Unter Verwendung eines einzigartigen konzeptionellen Modells fragt das Projekt, ob und auf welche Weise Formen der kontroversen Rede mit Praktiken im Zusammenhang mit kleinen Plattformen verbunden sind. Udupa bringt auf diese Weise die Diskurse über kleine Plattformen in die anthropologische Untersuchung ein, sowohl auf empirischer als auch auf theoretischer Ebene, unter Verwendung von Ethnographie, Algorithmus-Auditing und computergestützten Methoden.
Maßgeschneiderte Zelltherapien
Sebastian Kobold ist Professor für Experimentelle Immunonkologie an der LMU und Stellvertretender Direktor der Abteilung für Klinische Pharmakologie am LMU Klinikum.
Zelltherapien werden erfolgreich zur Behandlung hämatologischer Krebserkrankungen eingesetzt, in der Therapie solider Tumore müssen sie sich jedoch erst noch etablieren. In seinem ERC-Projekt CATACLIS (Cancer tailored next generation cellular therapies) will Sebastian Kobold zelluläre Produkte entwickeln, die auf Patientenmerkmalen basieren, und so letzten Endes wirksamere Zelltherapien für Patienten mit soliden Krebserkrankungen bereitstellen. Der Mediziner wird dabei einzelne Zelldatensätze von Patienten verwenden, um Zelltherapien der nächsten Generation zu gestalten, mit denen sich die Therapie solider Krebsarten in drei wichtigen Punkten deutlich verbessern lässt: Sie schaffen einen deutlich besseren Zugang der Therapeutika zum Tumorgewebe, eine spezifischere und auf den einzelnen Patienten angepasste Auswahl der Zielantigene und fahren damit die nötige Immunsuppression herunter. Mit seinem Projekt will Kobold nicht nur neue zelluläre Produkte für die Überprüfung in klinischen Studien bereitstellen, sondern auch Ansätze insgesamt befördern, die die Entwicklung von Therapien auf der Basis von Patientendaten voranbringen.
Gewalt während der Schwangerschaft
Heidi Stöckl ist seit 2021 Professorin für Public Health Evaluation an der LMU und forschte davor an der London School of Hygiene & Tropical Medicine.
Schätzungen zufolge wird weltweit jede vierte Frau im Lauf ihres Lebens Opfer von körperlicher und/oder sexueller Gewalt in der Partnerschaft. Eine besondere, lebensverändernde Zeit stellt dabei die Schwangerschaft dar, hier tritt Gewalt in manchen Fällen zum ersten Mal auf, verstärkt sich oder lässt auch hin und wieder nach. Missbrauch und seine Folgen können dabei sowohl für die Mutter als auch für die Kinder schwerwiegend sein und sich auf die nächste Generation übertragen. Prof. Heidi Stöckl will im Rahmen von IMPROVE_LIFE (Investigate maternal and paternal risk factors for violence during pregnancy: lasting impact for everyone) die Risiko- und Schutzfaktoren für Gewalt während der Schwangerschaft erforschen, ihre kurz- und langfristigen Folgen und die Auswirkungen auf die nächste Generation verstehen.
Das Projekt schlägt die erste theoretische und empirische Bewertung von Gewalt während der Schwangerschaft, ihrer intergenerationalen Übertragung sowie ihrer gesundheitlichen und sozialen Auswirkungen anhand klinisch getesteter Biomarker vor. Stöckl und ihr Team wollen dabei neue und bestehende intergenerationelle Kohortendaten aus verschiedenen Umfeldern zusammenführen: Daten aus Bangladesch und dem Vereinigten Königreich sowie gepoolte länderübergreifende Erhebungsdaten und qualitative Erkenntnisse. Der daraus entstehende neue theoretische und konzeptionelle Rahmen ist wichtig, um Politik, Präventions- und Reaktionsprogramme zur Bekämpfung von Gewalt während der Schwangerschaft fundierter zu informieren und dadurch Leben zu verbessern.
Planetenentstehung modellieren
Til Birnstiel ist seit Februar 2017 Professor für theoretische Astrophysik an der LMU und leitet dort eine Forschungsgruppe zur Planetenentstehung.
Durchschnittlich hat jeder Stern im Universum in etwa einen Planeten, der ihn umrundet. Planetenbildung muss also ein robuster Prozess sein. Doch noch immer verstehen Astrophysiker nicht genau, wie Planeten entstehen. Aktuelle Modelle gehen meist von sehr einfachen Annahmen aus, wie glatte Gasscheiben in denen bereits überall Planetesimale existieren, also die Vorläufer von Planeten. Neuere Ergebnisse zeigen dagegen, dass Substrukturen bereits im Frühstadium der Scheiben existieren und eine entscheidende Rolle in der Planetenentstehung spielen können. Ebenso gibt es episodische Leuchtkraftausbrüche, welche die planetenbildende Scheibe aufheizen und dadurch die Zusammensetzung der Planetenbausteine nachhaltig verändern können. Bisher fehlten jedoch geeignete Techniken, um diese dynamischen, komplexen Systeme am Computer modellieren zu können. Hier setzt EARLYBIRD (Early Build-up of Ringed Planet-Forming Disks) von Til Birnstiel an. Ziel seines Projekts ist es, das planetenbildende Material und seine Zusammensetzung von der anfänglichen Bildung der Scheiben bis hin zur Entstehung von Planetesimalen und schließlich Planeten zu verfolgen und dabei aufzuzeigen, wie diese Prozesse in sich in beobachteten Scheiben und in den Eigenschaften von Exoplaneten wiederspiegeln. Basierend auf wegweisenden Arbeiten über das Wachstum und den Transport von Staubpartikeln wird EARLYBIRD hochinnovative 3D-Modellierungstechniken einsetzen, die um zwei Größenordnungen schneller sind als bisherige Lösungsansätze.
Quantendynamische Simulationen
Benjamin Fingerhut ist Professor für Theoretische Chemie an der LMU. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören ultraschnelle dynamische Prozesse in kondensierter Phase.
Die Wechselwirkung eines Quantensystems mit seiner Umgebung führt zu neuartigen Phänomenen und Möglichkeiten, die in isolierten Quantensystemen nicht vorhanden sind und präzise und zuverlässige Berechnungsmethoden der Vielteilchen-Dynamik offener Quantensysteme erfordern.
Daher will Fingerhut in seinem Projekt NG-Quapi (Next Generation Quasi-Adiabatic Propagator Path Integral (Quapi) Methods for Condensed Phase Quantum Dynamics) die sogenannte quasi-adiabatische Propagator-Pfad-Integral-Methode (Quapi) weiterentwickeln, um numerische Simulationen der Quantendynamik in komplexen Systemen und Umgebungen zu erleichtern und ein besseres Verständnis der Phänomene in solchen Systemen zu erreichen.
Die neuen Ansätze und Algorithmen sollen die Entwicklung einer umfassenden numerischen Softwareplattform für solche Simulationen ermöglichen. Diese Entwicklung hat großes Potenzial, da sie extrem anspruchsvolle Simulationen erlauben könnte, die auf klassischen Computern noch nicht möglich sind oder nur auf maßgeschneiderten Quantensimulatoren denkbar sind.
Benjamin Fingerhut forschte nach seiner Promotion an der LMU an der University of California, Irvine, und am Max-Born-Institut für Nichtlineare Optik und Kurzzeitspektroskopie in Berlin, bevor er 2022 an die LMU wechselte.
Die Gestaltung und Stabilität von demokratischen Gesetzen
Dr. Steffen Hurka lehrt und forscht am Geschwister-Scholl-Institut für Politikwissenschaft der LMU und leitet die Emmy Noether-Gruppe "EUPLEX - Coping with policy complexity in the European Union".
Demokratien stehen ständig vor der schwierigen Aufgabe, unterschiedlichste Weltanschauungen, Interessen und Werte in einer kohärenten Gesetzgebung zusammenzuführen. Angesichts des zunehmend feindseligen politischen Klimas auf der ganzen Welt war dies noch nie so schwierig und gleichzeitig so wichtig wie heute. Doch obwohl Gesetze für die Legitimität demokratischer Regierungen eine entscheidende Bedeutung haben, ist das Wissen über den Zusammenhang zwischen ihrer Gestaltung und ihrer Langlebigkeit noch begrenzt. In seinem Projekt DEMOLAW (The Design, Creation and Survival of Democratic Laws) analysiert Steffen Hurka Gesetzestexte aus drei verschiedenen politischen Systemen (USA, Großbritannien, EU) mit modernsten Methoden computergestützter Datenanalyse, um herauszufinden, was manche Gesetze über lange Zeit stabil macht, während andere ständig angepasst und oft grundlegend geändert werden. Warum unterscheidet sich die Gestaltung demokratischer Gesetzgebung je nach Gesetz, Politikbereich, politischem System und über die Zeit? Und wie überhaupt lassen sich Vergleichsgrößen dafür finden? Der Ansatz soll nicht nur einen theoretischen Rahmen stecken, sondern den Weg für eine computergestützte Analyse von Gesetzgebungsinhalten ebnen und so die Untersuchung demokratischer Entscheidungsfindung verbessern.
Vernetzungsschäden an RNA und Proteinen
Julian Stingele ist Professor am Genzentrum der LMU. Er forscht zu Mechanismen, die Schäden an Biomolekülen erkennen und auflösen.
Zellen sind ständig mit komplexen Vernetzungsschäden an ihren Biomolekülen konfrontiert, die durch reaktive Stoffwechselprodukte, aber auch durch exogene Quellen verursacht werden. In seinem Projekt DECONSTRUCT (Deconstruction of complex crosslinking damage) will Stingele untersuchen, wie sich Vernetzungsschäden an RNA und Proteinen auf das zelluläre Gleichgewicht auswirken. Dazu nutzt er neue experimentelle Modellsysteme, die er mit genetischen und proteomischen Ansätzen kombiniert, um die molekularen Mechanismen aufzuklären, mit denen Vernetzungen erkannt und aufgelöst werden.
Mithilfe dieser Erkenntnisse soll die physiologische Rolle von RNA- und Proteinschäden bei der Reaktion auf während der Zelldifferenzierung entstehendes Formaldehyd und auf vernetzende Chemotherapeutika aufgedeckt werden. Stingele erwartet, dass die Ergebnisse einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der zellulären Qualitätskontrolle und der Genomstabilität liefern und weitreichende Auswirkungen auf die Krebstherapie und das Verständnis von Alterungsprozessen haben.
Julian Stingele promovierte am Max-Planck-Institut für Biochemie in Planegg-Martinsried an. Anschließend forschte er am Londoner Francis-Crick-Institute, bevor er 2017 an die LMU wechselte
Kunstgeschichte der Umwelt
Anna Grasskamp ist "Associate Professor of Art History and Visual Studies" an der Universität Oslo. Der LMU war sie über die Jahre durch Fellowships am Münchner Zentrum für Globalgeschichte und einen einjährigen Aufenthalt am Käte Hamburger Kolleg "Dis:konnektivität in Globalisierungsprozessen" verbunden.
Grasskamps Projekt ECOART - An Ecological History of Eurasian Art: Natural Resources, Aesthetic Practices, and Early Modern Globalization untersucht die künstlerische Nutzung und visuelle Darstellung geografischer, geologischer, botanischer, zoologischer und klimatischer Ressourcen in Eurasien, einem Gebiet, das in der Ära der frühneuzeitlichen Globalisierung durch den wirtschaftlichen Einfluss Europas und Chinas dominiert wurde.
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