Aachener Nachrichten: Verlässt uns der Mut? - Die Flüchtlingsdebatte steht an einem Scheideweg; Ein Kommentar von Joachim Zinsen
Aachen (ots)
Niemand bestreitet, dass es für Länder und Kommunen eine große logistische Herausforderung ist, hunderttausende Flüchtlinge unterzubringen. Niemand bestreitet, dass die Aufnahme von zum Teil hochtraumatisierten Vertriebenen auch Probleme mit sich bringt. Niemand bestreitet, dass unsere Gesellschaft überfordert wäre, wenn hier dauerhaft jedes Jahr eine ähnlich hohe Zahl an Menschen Schutz suchen würde, wie es derzeit der Fall ist. Natürlich wirft der große Zuzug von Flüchtlingen Fragen auf. Sie müssen ausgesprochen werden dürfen, es muss diskutiert werden können. Doch angesichts des hochsensiblen Themas bitteschön in einer seriösen Form. Das gilt nicht nur für Politiker, sondern auch für Medien. Seehofer, Söder, Scheurer - es sind nicht nur die üblichen Verdächtigen aus der CSU, die aus Fremdenangst politisches Kapital schlagen wollen. Wenig seriös war auch das, was Thomas de Maizière Ende vergangener Woche gemacht hat. In höchst undifferenzierter Art hat der Bundesinnenminister die Verfehlungen einzelner Flüchtlinge pauschalisiert und den Eindruck erweckt, er beschreibe ein Massenphänomen. So schürt man Vorurteile. Noch verheerender ist das, was sich am Wochenende der "Bericht aus Bonn" in der ARD geleistet hat. Was geschieht angesichts der vielen Flüchtlinge mit unseren Werten, wollten die Kollegen wissen. Selbstverständlich darf man die Frage stellen. Aber wer ist auf die famose Idee gekommen, die Anmoderation des Beitrags mit einem Bild zu illustrieren, das das Berliner Regierungsviertel im Schatten von Minaretten darstellt und Angela Merkel im Tschador zeigt? So etwas ist weder seriös, noch originell, noch in irgendeiner Form lustig. Die Kanzlerin gibt in vielen Bereichen ihrer Politik sicherlich Anlass zu heftiger Kritik. Aber Merkel wegen ihres mutigen und mutmachenden Satzes in der Flüchtlingsdebatte "Wir schaffen das" als Vorreiterin einer eingebildeten Islamisierung Deutschlands darzustellen, ist platte und gefährliche Effekthascherei. Es werden nämlich genau die gleichen dummen Klischees aufgenommen, mit denen NPD, AfD und Pegida seit geraumer Zeit Ängste vor Zuwanderung befeuern wollen. Wilde Spekulationen Der Mut schwindet, langsam wird die deutsche Öffentlichkeit auch medial wieder in einen Angst-Diskurs hineinmanövriert. Angetrieben wird er zusätzlich durch ständig neue Mutmaßungen über die zu erwartende Zahl von Flüchtlingen. Gestern warf "Bild" die Hausnummer 1,5 Millionen auf den Markt, ohne dafür eine konkrete Quelle zu nennen. Auch das ist unseriös. Dementis der Bundesregierung nutzen da wenig, die Zahl wird sich in vielen Köpfen festsetzen. Damit werden die Ängste weiter steigen. Doch statt ständig über neue Zahlen wild zu spekulieren und täglich über Aufnahmegrenzen zu palavern, sollte sich die Debatte auf die wirklich wichtigen Frage konzentrieren. Die lauten: Was müssen wir im Westen an unserer Politik grundlegend ändern, um Fluchtursachen zu vermeiden? Und wie können die Menschen, die zu uns kommen, am besten in unsere Gesellschaft integriert werden?
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