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Mediengipfel und Auftakt der Medientage München: Auf der Suche nach der Win-Win-Regulierung

München (ots)

Bayerns Vize-Ministerpräsidentin Ilse Aigner hat zum Auftakt der MEDIENTAGE MÜNCHEN erklärt, sie strebe für den Medienbereich nicht mehr, sondern bessere Regulierung an. Aigner ist seit 10. Oktober in Bayern neue Staatsministerin für Wirtschaft und Medien, Energie und Technologie. Sie vertrat den Ministerpräsidenten Horst Seehofer, der sich wegen der Sondierungsgespräche zur Bildung einer neuen Bundesregierung in Berlin aufhält. Aigner plädierte für eine Medienregulierung, die gewährleistet, dass offene Plattformen entstehen, niemand Netz-Ressourcen künstlich verknappt und alle einen diskriminierungsfreien Zugang zum Internet erhalten. Sie sehe sich als Medienministerin bewusst in der Tradition einer Medienpolitik, "der es immer darum ging, zu ermöglichen, nicht zu verhindern", sagte Aigner. Technik und Wirtschaft seien allerdings "kein Selbstzweck", sondern hätten "dienende Funktion gegenüber dem Bürger". Es gehe darum, mit einer Win-Win-Situation im Erhardschen Sinne Wohlstand für alle zu schaffen. "Unser Ziel sind gleichwertige Lebens- und Arbeitsverhältnisse in Stadt und Land: auch und gerade bei der Digitalisierung; auch und gerade bei der Breitbandversorgung", versprach die neue Wirtschafts- und Medienministerin. Sie kündigte eine eigenständige Medienagentur an, die in Bayern neue Ideen und junge Unternehmer unterstützen soll. Außerdem sieht Aigner Handlungsbedarf in zwei wichtigen Bereichen: So brauchten Anbieter und Kunden im Internet in Bezug auf das Urheberrecht "transparente, auch für den juristischen Laien nachvollziehbare Regeln". Zusätzlich müsse zur Sicherung von Qualitätsjournalismus dafür gesorgt werden, dass professionelle Presse und Rundfunkangebote künftig finanzierbar blieben. Kritik übte Aigner an der starken Rolle der Europäischen Union bei der Regulierung von Medien- und Telekommunikation. So werde in Brüssel die Bedeutung der Medien als Kulturgut meist gegenüber wirtschaftlichen Binnenmarkt-Aspekten vernachlässigt. Auch im Telekommunikationsmarkt seien keine neuen Verordnungen aus Brüssel sinnvoll, weil dies "eigentlich Ländersache" sei, kritisierte die Ministerin. Siegfried Schneider, Präsident der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM) und Vorsitzender der Gesellschafterversammlung der MEDIENTAGE MÜNCHEN, unterstrich bei seinem Grußwort die Bedeutung einer Regulierung, welche die einzelnen Mediengattungen nicht länger getrennt, sondern der konvergenten Realität entsprechend behandle. "Das gemeinsame Ziel von Gesetzgebung, Regulierung und Aufsicht muss sein, Chancengleichheit sowohl für alle Medienarten als auch für den Standort Deutschland im internationalen Wettbewerb zu schaffen", betonte Schneider. Fair sei der Wettbewerb nur dann, wenn für alle Wettbewerber die gleichen rechtlichen Rahmenbedingungen gelten würden. Dies betreffe das Urheber- und Steuerrecht ebenso wie die Bereiche Datenschutz, Netzzugang und Auffindbarkeit sowie Jugendmedienschutz und Konzentrationsrecht. Der Pluralismus im TV-Bereich sei derzeit gesichert, erklärte Schneider. Als Beleg führte er die Ergebnisse des MedienVieltfaltsMonitor der BLM an. Wegen dieser Vielfalt im nationalen Bereich könne aus seiner Sicht auf Sendezeiten für unabhängige Dritte (§ 31 Rundfunkstaatsvertrag) "eher verzichtet" werden. Hingegen müssten Anstrengungen verstärkt werden, um die Regionalfenster und die regionale Berichterstattung zu sichern. Der Intendant des Bayerischen Rundfunks, Ulrich Wilhelm, machte beim Mediengipfel auf ein zentrales Problem der digitalen Gesellschaft aufmerksam: Nutzer und Konsumenten würden angesichts der jüngsten Datenschutz-Skandale das Vertrauen in die Online-Medien verlieren. Wenn nicht klar sei, was mit persönlichen Daten und dem Schutz der Privatsphäre geschehe, sei der öffentliche digitale Raum in Gefahr. Über die sich ändernde Rolle der klassischen Massenmedien urteilte Wilhelm wie folgt: Zwar habe das Internet die Gatekeeper-Funktion überflüssig gemacht, doch seien Medien gefragt, wenn es darum gehe, Orientierung zu vermitteln und Diskurse zu moderieren. Darüber hinaus empfahl der Intendant des Bayerischen Rundfunks allen Akteuren und Unternehmen, sie sollten angesichts der zunehmenden Konvergenz "neue publizistische Gemeinschaften" bilden und crossmediale Partnerschaften eingehen. Aufgabe der Politik sei es, den Free Flow of Information zu gewährleisten und proprietäre Systeme verhindern. Dabei sei es wichtig, das Internet als publizistisches Forum und nicht nur als Grundlage für Geschäftsmodelle zu betrachten. Im Spannungsfeld von gesellschaftlichen und ökonomischen Herausforderungen bewegten sich im Anschluss an Wilhelms Keynote auch die Debatten auf dem Mediengipfel. Schnell wurde bei der von taz-Chefredakteurin Ines Pohl moderierten Podiumsdiskussion deutlich, dass fast alle Beteiligten zwar ein Minimum an staatlichen Eingriffen in die Märkte wünschen, aber jeweils in bestimmten Bereichen auf zügige (De-)Regulierung drängen. ProSiebenSat.1-Vorstandsmitglied Conrad Albert klagte über zu starke Restriktionen bei der TV-Werbung und wies darauf hin, dass Google im Internet nahezu ohne Auflagen agieren könne. Google kontrolliere zunehmend den Werbemarkt und die Auffindbarkeit von Inhalten im Internet. Wenn aber in Deutschland Free-TV-Programmanbieter Video-Plattformen etablieren wollten, scheiterten sie am Bundeskartellamt. Es gehe nicht darum, "Google hochzuregulieren", aber seine Branche brauche "mehr Bewegungsraum", appellierte Albert an die Politik. Dr. Tobias Schmid, Vorstandsvorsitzender der Verbandes Privater Rundfunk und Telemedien (VPRT), sprach von einer "Schieflage", die entstanden sei, weil die Rundfunkregu-lierung aus den Zeiten des linearen Fernsehens stamme. Inzwischen aber seien alle Mediengattungsgrenzen aufgehoben und deshalb müssten für alle die gleichen Regeln geschaffen werden. Medienpolitische Anpassungen an technologische Veränderungen dauerten zu lange, kritisierte Schmid. Entsprechende Verfahren würden sich in der Europäischen Union meist über etwa fünf Jahre hinziehen. Bis zur nationalen Umsetzung vergingen dann weitere zwei Jahre. Dass Medienregulierung der technologischen Entwicklung hinterherhinkt, sei ein weltweites Problem, sagte Brian Sullivan, Vorstandsvorsitzender von Sky Deutschland. Auch er äußerte Bedenken in Zusammenhang mit Themen wie Datenschutz oder Urheberrechtsschutz. Umso wichtiger sei es, aufzuklären und Vertrauen zu schaffen. Dieser Aussage stimmte Philipp Justus, der für Google das Geschäft in Deutschland leitet, zu. "Wir schaffen Transparenz und bieten Wahlmöglichkeiten", verteidigte sich Justus gegen Vorwürfe, der Suchmaschinen-Marktführer sei ein Datenkrake. Bei Google könnten Nutzer souverän entscheiden, ob und welche persönlichen Daten sie preisgeben. Je mehr die Suchmaschine aber über den einzelnen Nutzer erfahre, desto relevanter seien die Suchergebnisse. Die Bonner Medienwissenschaftlerin Prof. Dr. Caja Thimm hielt dagegen, die Personalisierung von Profilen könne dazu beitragen, dass Nutzer in eine Filter Bubble gerieten, also nur noch solche Internetinformationen erhielten, von denen Google annehme, dass sie mit den vermeintlichen Vorlieben der jeweiligen Anwender übereinstimmen. Thimm diagnostizierte, in unserer mediatisierten Gesellschaft gebe es kein Zurück mehr, also keine Alternative zum Internet. Der Begriff des Digital Native aber führe in die Irre. Schließlich würde die jüngere Generation das Internet zwar sehr intensiv nutzen, verfüge aber nicht über das not-wendige Orientierungswissen, um sich wirklich als Einwohner bezeichnen zu können. Als problematisch charakterisierte die Medienwissenschaftlerin außerdem die "Algorithmisierung" von Wissen in der Online-Welt. Zeitungsverleger Dr. Dirk Ippen wies darauf hin, man könne im Internet nur etwas finden, von dem man wisse, dass man danach suchen könne. Deshalb müssten Schulen in der Medien- und Wissensgesellschaft wieder mehr Allgemeinbildung vermitteln. Zugleich sprach sich der Verleger dagegen aus, Google zu verteufeln. Der Konzern sei auch für Zeitungen "keine existenzielle Bedrohung". Vielmehr hätten etwa Lokalblätter eine gute Chance zu überleben, wenn sie als Solidarsysteme funktionierten: Im Grunde würden sie Leser-Gemeinschaften bilden, die mit Communitys im Internet vergleichbar seien. "Google verändert nicht unser Kerngeschäft", versicherte auch ZDF-Intendant Dr. Thomas Bellut. Im Grunde gehe es darum, das Publikum zu faszinieren und zu binden. Und dies gelinge, so zeigten die aktuellen Reichweitendaten, noch immer sehr gut. Auf die Parallelnutzung per Second Screen könne die Branche mit Zusatzangeboten reagieren, zeigten sich Conrad Albert und Tobias Schmid ebenfalls optimistisch, dass Social TV eine Bereicherung sei. Allerdings, so gab Bellut zu bedenken, könne es sein, dass künftig auch die Inszenierung im Fernsehen gezielt auf Second Screen und Social TV abgestimmt werden müsse. Zu einer kontroversen Diskussion zwischen Vertretern öffentlich-rechtlicher und privatwirtschaftlicher TV-Programmanbieter kam es übrigens diesmal auf dem Mediengipfel nicht. Stattdessen sprach der ZDF-Intendant schlicht davon, im Moment herrsche auf dem Markt "Gleichgewicht und Stabilität". Weitere Informationen erhalten Sie unter www.medientage.de

Pressekontakt:

Medientage München
Anja Kistler
Telefon: 089/68999250
Fax: 089/68999199
anja.kistler@medientage.de

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