Medientage München 2013 vom 16. bis 18. Oktober Themen-Special Medienpolitik: Chancengleichheit als Balance-Akt
München (ots)
Regulierung gilt als die Summe aller Eingriffe des Staates in den freien Wettbewerb, die Einfluss auf die Beziehungen zwischen Marktakteuren haben. Wie viel Regulierung aber braucht der Markt? Wann werden Marktmächte gezähmt und wann behindert, wann Innovationen forciert oder verhindert? Diese Fragen werden bei den MEDIENTAGEN MÜNCHEN traditionell kontrovers diskutiert. Doch die Gewichte haben sich verlagert. Kämpften mehr als zwei Jahrzehnte lang vor allem privatwirtschaftliche Anbieter von TV-Programmen um Liberalisierung und öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten um den Erhalt ihres auf der gebotenen Grundversorgung basierenden Sonderstatus, scheint die Zeit solch intramediärer Debatten vorbei. Die neuen Spannungsfelder sind intermediäre Konflikte, ausgelöst durch das Internet und die Konvergenz ehemals getrennter Mediensektoren. Grundsätzlich dient Regulierung einer Beschränkung von Marktmechanismen, die immer dann angebracht scheint, wenn einzelne Akteure zu viel Marktmacht haben und dadurch den Wettbewerb bedrohen (z.B. Medienkonzentration) oder wenn das ungebändigte Spiel der Kräfte auf einem Markt zu negativen gesellschaftlichen Folgen führt (z.B. Jugendschutz). Forderten früher Vertreter privatwirtschaftlicher Rundfunkanbieter jahrelang vor allem Deregulierung und Liberalisierung, verlangten sie bei den MEDIENTAGEN MÜNCHEN im vergangenen Jahr, im Internetzeitalter müssten Google & Co. genauso streng reguliert werden wie deutsche Medienunternehmen. Diese Forderung scheitert allerdings daran, dass für die großen Online-Konzerne aus den USA meist andere, nämlich globale Spielregeln gelten. Notfalls verlegen US-Unternehmen ihre Europa-Zentralen immer dahin, wo die liberalsten Regelungen gelten. So hat etwa Facebook seinen Sitz in Irland. Die Globalisierung macht nationale Regulierung immer schwieriger. Auf die Kritik, Google zahle in Deutschland zu wenig Steuern, reagierte Google-Manager Dr. Alwin Mahler mit der Bemerkung: "Wir halten uns nur an die internationalen Gegebenheiten."
ProSiebenSat.1-Vorstandsmitglied Conrad Albert klagte beim Mediengipfel, es gehe nicht darum, "Google hochzuregulieren", aber seine Branche brauche "mehr Bewegungsraum". Dr. Tobias Schmid, Leiter Medienpolitik der Mediengruppe RTL Deutschland und Vorstandsvorsitzender der Verbandes Privater Rundfunk und Telemedien (VPRT), sprach von einer "Schieflage", die entstanden sei, weil die Rundfunkregulierung aus den Zeiten des linearen Fernsehens stamme. Inzwischen aber seien alle Mediengattungsgrenzen aufgehoben und deshalb müssten für alle die gleichen Bedingungen geschaffen werden. Regulierung würde in diesem Fall also vor allem Deregulierung bzw. Liberalisierung bedeuten. Bayerns Vize-Ministerpräsidentin Ilse Aigner erklärte, sie strebe für den Medienbereich nicht mehr, sondern bessere Regulierung an. Die neue bayerische Staatsministerin für Wirtschaft und Medien, Energie und Technologie plädierte für eine Medienregulierung, die gewährleistet, dass offene Plattformen entstehen, niemand Netz-Ressourcen künstlich verknappt und alle einen diskriminierungsfreien Zugang zum Internet erhalten. Die nationale Medienpolitik steht vor der schwierigen Lage, ein Gleichgewicht herstellen zu müssen, ohne dabei das Kulturgut Medien der Profitoptimierung einzelner starker Akteure zu opfern, die schließlich mit Monopolen die Märkte zerstören. Ein Zuwenig an Regulierung bedroht die Meinungsvielfalt, ein Zuviel verschlechtert die Aussichten deutscher Unternehmen im internationalen und intermediären Wettbewerb des Online-Zeitalters. Siegfried Schneider, Präsident der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM), unterstrich die Bedeutung einer Regulierung, welche die einzelnen Mediengattungen nicht länger getrennt, sondern der konvergenten Realität entsprechend behandle. "Das gemeinsame Ziel von Gesetzgebung, Regulierung und Aufsicht muss sein, Chancengleichheit sowohl für alle Medienarten als auch für den Standort Deutschland im internationalen Wettbewerb zu schaffen", betonte Schneider.
Auch die TV-Branche spürt allmählich den Wettbewerb aus dem Internet. Immer mehr Menschen schauen Videos online, und YouTube etabliert immer neue Kanäle, die sich an professionellen TV-Standards orientieren. Dennoch sehen TV-Programmmacher im Medium Internet zurzeit mehr Chancen als Risiken und verweisen etwa auf Social-TV-Angebote zur Verbesserung der Zuschauerbindung. Das duale Rundfunksystem scheint konsolidiert. Dass sich auf dem deutschen Markt der Fernsehprogramme inzwischen eine Vielzahl von Angeboten ausdifferenziert hat, gilt als unbestritten. ZDF-Intendant Dr. Thomas Bellut sprach beim Mediengipfel davon, im Moment herrschten "Gleichgewicht und Stabilität". Die öffentlich-rechtlichen Anbieter sehen ihre Existenz nach Einführung des neuen Rundfunkbeitragsmodells offenbar (vorerst) gesichert. Auch der öffentlich-recht-liche Protest gegen eine mögliche Reduzierung oder Abschaffung von Werbung bei ARD und ZDF hielt sich während der MEDIENTAGE MÜNCHEN in Grenzen. Bellut wies lediglich darauf hin, dass sich manche Werbekunden enttäuscht zeigen könnten, sollten sie nur noch bei privatwirtschaftlichen Programmen Werbung schalten dürfen. Ein Jahr nachdem Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer bei den MEDIENTAGEN MÜNCHEN 2012 einen Runden Tisch zur Medienpolitik angekündigt hatte, stellten diesmal Vertreter des Gremiums ein erstes Motivpapier vor. In vier Arbeitsgruppen wurden von Medienaufsicht, Politikern und Unternehmensvertretern Reformvorschläge zu den Themen Deregulierung, Rahmenbedingungen, Infrastruktur und Inhalte sowie Medienaufsicht erarbeitet. Das Spektrum der vorgeschlagenen Maßnahmen reicht von der Liberalisierung im Bereich Werbung über die Entbürokratisierung der Medienaufsicht bis zu den Politikfeldern Urheberrecht, Medienkonzentrationsrecht und Jugendschutz. Bei den Medientagen München 2014 wollen Vertreter des Runden Tisches einen konkreten Maßnahmenkatalog vorschlagen.
Wie schwer es ist, medienpolitisch soziale und ökonomische Belange gegeneinander abzuwägen, machte bei den MEDIENTAGEN MÜNCHEN auch das Thema Netzneutralität deutlich. Johannes Scheller, der eine elektronische Petition zur Netzneutralität initiierte, kritisierte, die Pläne der Deutschen Telekom, künftig bestimmte Dienste und Daten-Volumina (Managed Services) nur noch gegen Aufpreis zu vermitteln, könnten etwa für nicht-kommerzielle Video-Anbieter diskriminierend wirken. Deshalb müsse im Telekommunikationsgesetz die Verpflichtung zur Netzneutralität verankert werden. Telekom-Manager Dr. Jan Krancke hielt dem entgegen, das Best-Effort-Prinzip, nach dem alle eingehenden Datenübermittlungsanfragen unabhängig von Absender, Inhalt oder Adressat schnellstmöglich bearbeitet und bedient werden, bleibe grundsätzlich erhalten. Darüber hinaus aber seien gegen Entgelt bessere Qualitäten möglich. Wer solche Systeme gesetzlich unterbinde, bedrohe angesichts der zunehmenden Bandbreite moderner Internetentwicklungen auf Dauer Innovationen. Die Entscheidung in Sachen Netzneutralität liegt nun bei der neuen Bundesregierung.
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