Mittelbayerische Zeitung: Seriös, konservativ, grün Leitartikel zum Wahltriumph der Grünen
Regensburg (ots)
Einen Tag nach den beiden wichtigen Landtagswahlen im Südwesten ist die Parteienlandschaft in Deutschland in Bewegung wie selten nach einer Wahl. Die erfolgreichen Grünen geben sich staatstragend, wirtschaftsfreundlich und verantwortungsbewusst. Die Kanzlerin, die eine empfindliche Niederlage einstecken musste, reagiert mit einem vorsichtigen Schmusekurs in Richtung der einstigen politischen Schmuddelkinder. Bei der FDP herrscht Endzeitstimmung. Und beim anderen Wahlverlierer, der SPD, kann man es noch gar nicht fassen, dass man dennoch in beiden Fällen mitregieren darf. Gewiss waren die dramatischen Entwicklungen von Fukushima Wasser auf die Mühlen der Grünen. Das Thema Kernkraft hat emotionalisiert und auch neue Wählerschichten für die Anti-AKW-Partei mobilisiert. Die Grünen sind in dieser Frage authentischer und glaubwürdiger als alle anderen Parteien. Ihre fundamentale Ablehnung der Kernkraft ist keine taktische Überlegung, sondern eine Grundkonstante seit Gründung der Umweltpartei vor über 30 Jahren. Das haben viele Wähler honoriert und am Sonntag das Original gewählt, und - verglichen mit den Wahlen zuvor - weniger die Moratoriums-CDU. Auch das Totschlag-Argument von der grünen "Dagegen-Partei" verfing nicht. Auf Bundesebene ist das Gewicht der Grünen enorm angewachsen. Es ist zurzeit vieles im Fluss. Politische Erbhöfe wanken oder wurden, siehe Baden-Württemberg, geschliffen. Mit ihrem Wahlkampf und dem dazugehörigen Polit-Personal haben sich die Grünen als seriös, in manchen Fragen konservativ, das heißt etwa, die Schöpfung bewahrend, gezeigt. Dabei ist es ihnen gelungen, bis weit in Wählerkreise vorzudringen, die bislang den beiden vorgeblich "bürgerlichen" Parteien CDU bzw. FDP vorbehalten schienen. Vor allem die Grünen bemühen sich, bürgerliche Werte, wie Verlässlichkeit, Glaubwürdigkeit, Ehrlichkeit, hoch zu halten. Angesichts der Streitereien und Peinlichkeiten der schwarz-gelben Koalition in Berlin fällt ihnen das freilich auch nicht sonderlich schwer. Baden-Württemberg mit dem ersten grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann ist insofern nicht nur eine politische Zäsur in der Geschichte der Bundesrepublik, sondern auch das größte politische Bewährungsfeld der Umweltpartei. Können im Ländle wirklich moderne Ökonomie und Ökologie vereint, können grüne Konzepte und schwarze Zahlen zusammengeführt werden, dann könnte dieses Modell weit über Baden-Württemberg hinaus ausstrahlen. Es kann freilich auch im politischen Kleinklein stecken bleiben. Angela Merkel, die rasch nach den ersten Meldungen aus Japan der Union und dem Land ein Laufzeiten-Moratorium verpasste, hat auf den Vormarsch der Grünen mit einem vorsichtigen Schmusekurs reagiert. Noch vor ein paar Monaten tat sie schwarz-gelbe Bündnisse als Hirngespinste ab. Nun nähert sie sich der grünen Atomausstiegspartei mit beinahe affenartiger Geschwindigkeit an. Für viele in der Union geht das zu schnell. Allerdings kann Merkel kaum anders. Eine Hardliner-Politik, etwa das Pochen auf die gerade verabschiedete Laufzeitverlängerung, hätte der CDU vermutlich noch mehr geschadet als der jetzige Schwenk. Hinzu kommt, dass der liberale Juniorpartner bei der nächsten Bundestagswahl ausfallen könnte. Merkel ist geschmeidig genug, um auch mit Schwarz-Grün regieren zu können. Ist die Laufzeitverlängerung erst einmal vom Tisch, woran heftig gearbeitet wird, wäre eine große Hürde zwischen Union und Grünen aus dem Wege geräumt. Und Baden-Württemberg wird auch zeigen, dass die Grünen an der Macht etwas anderes sind, als Grüne im Protestzug auf der Straße.
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