Mittelbayerische Zeitung: Ein Kampf gegen Windmühlen Leitartikel zur Energiewende
Regensburg (ots)
Menschenleere Sperrzonen, kilometerweit. Zehntausende Tote. Millionen Kranke in ganz Europa. Tschernobyl ist bis heute das Synonym für unfassbares Entsetzen. Wenn in diesen Tagen, in denen sich die Katastrophe zum 25sten Mal jährt, die Bilder wieder lebendig werden, und wenn dann der Blick nach Japan geht, wenn es so scheint, als habe die Menschheit in einem Vierteljahrhundert nichts, aber auch gar nichts gelernt, dann macht das fassungslos. Und sieht man dann Menschen protestieren, nicht gegen die Atomkraft, sondern gegen die Alternative, gegen den sauberen Strom aus Windkraftanlagen - muss man nicht verzweifeln? So widersinnig es scheint: Auch der Protest gegen die Windenergie hat seine Berechtigung. Nimby, so nennen Wissenschaftler das Phänomen. Not in my backyard - nicht in meinem Garten. Asylbewerber gerne, aber kein Ausländerwohnheim in unserer Straße. Windenergie ja, aber nicht vor meinem Balkon. Die Motivationen für diese Proteste sind oft vielschichtig, eine Mischung aus handfesten ökonomischen Interessen - sinkt der Wert meiner Immobilie, wenn vor dem Garten ein Windrad steht? Dazu gesellt sich die Sorge um die eigene Lebensqualität und eine diffuse Angst vor unabwägbaren, weil unbekannten, unerforschten oder unbewiesenen Risiken wie dem Infraschall. Nicht nur angesichts der Weltuntergangsszenarien in Tschernobyl und Fukushima, sondern auch angesichts der öden Kraterlandschaften, die der Kohlebergbau in weiten Teilen Deutschlands hinterlassen hat, erscheinen die Sorgen um Schlagschatten im Wohnzimmer und um blinkende Positionslichter rotierender Windräder über ländlichem Waldidyll auf den ersten Blick schwer nachvollziehbar. Und doch sollte, muss es in einem demokratischen Land eine Selbstverständlichkeit sein, dass die Ängste und Sorgen aller Bürger ernst genommen werden. Und dass gerade diejenigen, die mit dem Bau der Windkraftanlagen Geld verdienen, alles tun, um diese Sorgen und Ängste qualifiziert zu zerstreuen - sei es mit Foren zur Information und Beteiligung der Anwohner, sei es mit der Finanzierung von unabhängigen Studien, mit Investitionen zum Schutz von Mensch und Natur oder, im Zweifelsfall, dem Angebot von Entschädigungen. Natürlich wird man es dabei nicht allen recht machen können. Die Landschaft wird sich verändern. Soll es wirklich gelingen, langfristig die Leistung aller 17 deutschen Atomkraftwerke durch regenerative Energien zu ersetzen, dann wird sie sich sogar dramatisch verändern. Und bei irgendjemand werden die Windräder, die Sonnenkollektoren, die Biogasanlagen immer vor dem Balkon stehen. Gesundheitliche Risiken müssen dafür mit absoluter Sicherheit ausgeschlossen werden. Im Hinblick auf Wohnqualität und Landschaftsschutz müssen standortbezogene Kompromisse möglich sein. Gelingt es so, die Bürger mitzunehmen in diesem gewaltigen Prozess, dann ist die vielbeschworene Energiewende eine Chance. Nicht nur für die Umwelt, sondern auch für eine demokratischere, weil dezentralere Form der Energiegewinnung. Es ist die Chance, den Strom nicht mehr nur aus der Steckdose kommen zu lassen. Nicht mehr abhängig zu sein von vier Großkonzernen, sondern selber über die Zukunft der Energiegewinnung mitzubestimmen. Die Anwohner der geplanten Windkraftanlagen haben Recht damit, wenn sie diese Mitbestimmung einfordern. Damit die Welt in 25 Jahren anders aussieht.
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