Mittelbayerische Zeitung: Links abgebogen Leitartikel zur schwarz-gelben Energiewende
Regensburg (ots)
Diese Wochen im Frühsommer könnten einmal als historisch gelten - weil sie den Zerfall des bürgerlichen Lagers eingeläutet haben. Handstreichartig hat sich die Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzende Angela Merkel zweier Probleme entledigt: der Großdebatte um die Atomkraft und eines siechenden Koalitionspartners. Es ist ein Abschied auf Raten, freilich, aber mit der Kehrtwende in Sachen Energiepolitik haben sich die Kanzlerin und mit ihr die C-Parteien insgesamt auf den Weg in eine neue Zukunft gemacht. Und die ist - passenderweise - wie die Farbe der Hoffnung: grün. Wer genauer hingeschaut hat muss feststellen, dass die Energiewende fast ohne Beteiligung der FDP vonstattenging. Mehr noch: Merkel hat den einstigen Wunschpartner geradezu vorgeführt. Nicht der neue Wirtschaftsminister und neue FDP-Vorsitzende Philipp Rösler, sondern der CDU-Umweltminister Norbert Röttgen wird sich um die Fortschritte beim Ausbau der erneuerbaren Energien kümmern. Rösler darf sich dafür mit dem schnellen Ausbau der Stromnetze herumschlagen, was eine eher unangenehme Aufgabe ist. Auch soll die Kanzlerin ihren neuen Minister mehrmals während der Atomgipfel kalt abserviert haben, sagen Beteiligte. Und die Idee einer stufenweisen Abschaltung der Atommeiler war erstens eine Idee Röttgens und der Kanzlerin, um SPD und Grüne mit ins Boot zu holen, und zweitens nicht nach dem Geschmack der FDP. Im Vergleich zur Wendigkeit einer Angela Merkel wirken die Liberalen dabei wie schlaftrunken: Sie gehen schon mit, aber vorher brauchen sie erst einmal einen Kaffee. Derweil ist Merkel bereits auf der Autobahn - wo sie links blinkt. Denn links ist auch die Stimmung im Land. Zumindest sagen das die Umfragen und die letzten Landtagswahlen ohnehin. Was Volkes stimme auch sagt ist, dass mit den Liberalen kein Blumentopf mehr zu gewinnen ist. Neuer Chef und Spitzenmannschaft hin oder her: In zwei Jahren wird gewählt und derzeit scheint es so, als ob das bürgerliche Lager eine drastische Niederlage erleben wird. Also sucht Merkel nach Alternativen - und ist bereit, dafür ein hohes Risiko einzugehen. Denn nicht jeder in den eigenen Reihen der Union findet den Schwenk in der Energiepolitik in der jetzt festgelegten Form gut. Gerade die Konservativen und die Wirtschaftspolitiker in den C-Parteien melden sich kritisch zu Wort - und das sind nicht unbedingt diejenigen, die die CDU-Chefin in der Vergangenheit besonders pfleglich behandelt hat. Außerdem sollte ihr das Schicksal der SPD als mahnendes Vorbild gelten: Die Genossen haben den Schock der Hartz-Reformen bis heute nicht überwunden. Radikale Kurswechsel mögen als visionär gelten und Sympathien jenseits der traditionellen politischen Lager wecken. Einer Volkspartei fügen sie vor allem erst einmal Schäden zu - und der Wähler entscheidet sich am Ende vielleicht doch für das Original: Grünen-Wähler werden künftig ihr Kreuz nicht bei der Union machen, nur weil die jetzt auch gegen Kernkraft ist. Aber mit einem Linksschwenk verbreitert Merkel die Andockmöglichkeiten an andere Parteien, mittelfristig an die SPD, langfristig eben an die Grünen. Wer das für undenkbar hält, weil Merkel noch vor Monaten schwarz-grünen Koalitionen eine Abfuhr erteilt hatte, sollte sich Folgendes vor Augen führen: Schon einmal sprach die Kanzlerin von einer "Revolution" im Energiebereich. Das ist gerade einmal neun Monate her. Damals beschloss Schwarz-Gelb die Verlängerung der Atomlaufzeiten.
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