All Stories
Follow
Subscribe to Mittelbayerische Zeitung

Mittelbayerische Zeitung

Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zu Polen

Regensburg (ots)

Vor zwei Jahren, auf dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise, präsentierte sich der polnische Regierungschef Donald Tusk vor einer Europa-Karte. Sein Land war darauf als grüne Insel inmitten eines alarmrot leuchtenden Krisen-Kontinents eingezeichnet. Die Botschaft war unmissverständlich: "Seht her, im allgemeinen Niedergang sind wir das einzige EU-Land mit Wachstum!" Das war zwar forsch vorgetragen, stimmte aber durchaus. Mehr noch: Das Wirtschaftswunder an der Weichsel hält an. Tusk, der 2010 als "großer Europäer" mit dem Karlspreis ausgezeichnet wurde, nutzt die gute ökonomische Lage konsequent für eine außenpolitische Offensive. Er will sein Land neben Deutschland und Frankreich, aber noch vor dem EU-Außenseiter Großbritannien als dritte Führungsmacht in Europa positionieren. Nun hat Polen die EU-Ratspräsidentschaft übernommen. Es ist ein Lackmustest für Tusks Ambitionen. Die Voraussetzungen für einen Erfolg sind nicht schlecht. In Warschau ist fast alles im Lot. Es gibt weder peinliche politische Führer wie in Italien noch rebellierende Jugendliche wie in Spanien oder rechtspopulistische Hetzer wie in den Niederlanden. Und Tusk weiß Bundeskanzlerin Angela Merkel fest an seiner Seite. Probleme gibt es in Europa zweifellos genug. Sie sind vor allem finanzieller Art. Wenn Tusk in dieser Woche sein Programm für die Ratspräsidentschaft im EU-Parlament in Straßburg präsentiert, wird er deshalb auch über die Währungsunion sprechen müssen und den europäischen Haushalt für die Jahre 2014-2020, der ab sofort unter polnischer Ägide verhandelt wird. Man darf gespannt sein, wie offensiv er dies tut, denn Tusk steckt in einer Klemme: In der EU steht und fällt derzeit alles mit dem Euro - Polen aber gehört nicht zum Klub und sitzt bei den entscheidenden Krisentreffen nicht mit am Tisch. Um sich ein gewissen Mitspracherecht zu kaufen, hat Polen als symbolischen Akt freiwillig 250 Millionen Euro für die Griechenland-Hilfe springen lassen. Auf Dauer ist das für einen Führungsanspruch aber zu wenig. Wenn Tusk sein Land in Europa voranbringen will, muss er in den kommenden Jahren - die Wiederwahl im Herbst vorausgesetzt - viel mutiger auftreten. Keine Frage: Polen gehört in die Währungsunion. Denn auch eine grüne Insel bleibt am Ende eine Insel. Mit dem Euro-Hemmschuh an den Fersen wird es Tusk kaum gelingen, seinen eigentlichen Lieblingsprojekten Schub zu verleihen. Warschau strebt seit Langem eine Vertiefung der Partnerschaft mit den Ländern des postsowjetischen Raums an, allen voran mit der Ukraine. Die krisengeplagten EU-Europäer sind mittlerweile allerdings derart erweiterungsmüde, dass es verbindliche Beitrittssignale an Kiew nicht geben kann. Tusk wird in Straßburg auch eine Friedens- und Demokratieoffensive für Nordafrika ankündigen und vom Streben nach einer gemeinsamen europäischen Energiepolitik reden. Ein bahnbrechender Wandel ist jedoch auch in diesen beiden Bereichen nicht abzusehen. Die handelnden Personen in den Maghreb-Staaten schauen nach Washington, Paris, London und Rom - vielleicht noch nach Berlin, aber kaum nach Warschau. Und im Energiebereich zeigen die fast zeitgleichen deutschen und polnischen Atomkraftbeschlüsse, wie tief die Gräben in der EU sind: Merkel steigt aus, Tusk steigt ein. Polen kann Europa in den kommenden sechs Monaten zeigen, dass es auf dem Kontinent noch EU-Enthusiasten gibt. Dennoch dürfte am Ende der Warschauer Ratspräsidentschaft die Botschaft stehen: Gut gemacht, und nun zurück ins Glied.

Pressekontakt:

Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten@mittelbayerische.de

Original content of: Mittelbayerische Zeitung, transmitted by news aktuell

More stories: Mittelbayerische Zeitung
More stories: Mittelbayerische Zeitung
  • 01.07.2011 – 21:45

    Mittelbayerische Zeitung: Vorfahrt für Verbraucher

    Regensburg (ots) - Ob die Kennzeichnung von Lebensmitteln, die Koordinierung der EHEC-Ausbrüche oder wie jetzt die erneute Senkung der Roaming-Tarife: Die EU wendet sich mitten in der Schuldenkrise verstärkt den Verbrauchern zu und das ist gut so. Im Vergleich zur mächtigen Außen- oder Finanzpolitik mag der Druck auf die Anbieter ein unbedeutender Schritt sein. Doch in einer Zeit, in der immer mehr Menschen am Projekt ...

  • 01.07.2011 – 21:43

    Mittelbayerische Zeitung: Zu DSK-Freilassung: Raus aus der Sex-Falle?

    Regensburg (ots) - Der Justiz-Krimi, in den Dominique Strauss-Kahn da hineingeraten ist, kann mit herkömmlichen Verfahren nicht verglichen werden. Hier steht kein Provinz-Casanova mit seinem Feld-, Wald- und Wiesen-Anwalt vor Gericht. Strauss-Kahn spielt in der absoluten Top-Liga, in der massive, politische Machtinteressen und sehr viel Geld im Rennen sind. Hier haben ...

  • 01.07.2011 – 21:42

    Mittelbayerische Zeitung: Fehlstart für den "Bufdi"

    Regensburg (ots) - Heute nacht ist er also ausgeschieden: Von manchem Nachkriegspolitiker noch als "Vaterlandsverräter" geschmäht und von den Wehrdienst-Kollegen liebevoll bis bösartig als "Urinkellner" bezeichnet, vor allem in seinen letzten Jahren aber als unentbehrlicher Helfer in Krankenhäusern, Altenheimen und BRK-Fahrdiensten zu verdientem Ruhm gekommen: Der Zivildienstleistende musste gehen, obwohl er ...