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Mittelbayerische Zeitung: Erst kommt das Fressen, dann die Moral

Regensburg (ots)

Deutsche Waffen in den Händen von Despoten - wie unmoralisch! Stimmt. Das allerdings ist die politische Realität. Denn erst kommt das Fressen, dann die Moral. Wer dieses Prinzip erkannt hat, dem fällt es leichter, Politik zu verstehen. Nicht nur Deutschland, auch andere Staaten, die gesamte Europäische Union, hat über Jahre hinweg vom Reichtum Gaddafis, dem Herrscher über das Land mit den riesigen Ölreserven, profitiert. So bezog Deutschland bis zum Ausbruch der Aufstände zehn Prozent seines Erdöls aus Libyen, Italien mit 22 Prozent mehr als doppelt so viel. Nicht nur das: Zwischen dem italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi und dem Despoten mit dem Spleen für ausgefallene Uniformen hat sich sogar eine wahre Männerfreundschaft entwickelt - schließlich war Italien der wichtigste Wirtschaftspartner Libyens in der EU. Etwa 180 italienische Unternehmen waren in Libyen bis Anfang des Jahres aktiv. Und Muammar al-Gaddafi hat von der EU Waffen geliefert bekommen. Auch, wenn das keine Regierung so gerne zugibt. Die G36-Sturmgewehre, die nun in Libyen aufgetaucht sind, sollen aus der Produktion des Jahres 2003 stammen. Ein Schelm, der denkt, dass der Besuch des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder bei Gaddafi im Jahr 2004 etwas damit zu tun hat. Schröder war immerhin der erste und einzige Bundeskanzler, der den psychopathischen Herrscher besuchte. Wer sich vor Augen hält, dass Deutschland 2009 Waffen im Wert von 53 Millionen Euro an Libyen geliefert hat und in Italien die Waffenexporte in den Wüstenstaat sogar 112 Millionen Euro ausmachten, kann sich einen weiteren Grund ausmalen, warum Italien und Deutschland einer militärischen Intervention in Libyen so ablehnend gegenüber standen. Aus Diplomatenkreise hatte man schon im Februar erfahren, dass Berlusconi die Entscheidungsfindung bei der Frage nach EU-Sanktionen gegen Gaddafi blockierte und intern verlauten ließ, dem Männerfreund "kein Haar krümmen" zu wollen. Wie sich Deutschland bei der Abstimmung über die UN-Resolution zur Flugverbotszone über Libyen verhielt, ist bekannt und bis heute nicht zu verstehen. Obwohl: Vielleicht sollten ganz einfach die gut laufenden Wirtschaftsbeziehungen mit dem Regime nicht gestört werden? Denn wären die Rebellen mitsamt der Nato gescheitert, wäre Deutschland fein raus gewesen, hätten deutsche Unterhändler unbefleckt vor den Despoten treten und die zuvor florierenden Geschäfte wieder aufnehmen können. Das demokratische Deckmäntelchen, das sich Westerwelle seit Beginn der arabischen Revolution übergestreift hat, war ohnehin fast unsichtbar geworden. Die Regierung und vor allem Westerwelle muss sich jetzt zwar harte Kritik wegen der deutschen Nichtbeteiligung am Nato-Einsatz gefallen lassen und dafür, dass er sich am Ende auch noch dafür auf die Brust geklopft hat. Der deutschen Wirtschaft stehen jetzt aber die Türen offen: Man wird den Übergangsrat beraten und dafür sorgen, dass dieser vernünftige politische Rahmenbedingungen schafft, sodass jeder ein Stück des libyschen Kuchens bekommt. Daran ist ja nicht viel auszusetzen. Dann aber sollte wieder Zeit sein für ein bisschen Moral in der deutschen Bundesregierung.

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