Mittelbayerische Zeitung: Zum EU-Ostgipfel: Schwer erziehbar
Viele osteuropäische Nachbarn - allen voran Weißrussland - fordern die EU heraus.
Regensburg (ots)
Allen gut gemeinten Gipfel-Worten zum Trotz: Die östlichen Nachbarstaaten hängen der EU derzeit wie Mühlsteine am Hals. Der weißrussische Diktator Alexander Lukaschenko hat sein Land in den wirtschaftlichen Abgrund manövriert und seine Bürger zu Prügelknaben degradiert. In der Ukraine hat Präsident Wiktor Janukowitsch auch die letzten, ohnehin verblühenden Pflänzchen der Orangenen Revolution wie Unkraut ausgerupft. Nun versucht er sich in gelenkter Demokratie à la Putin. In Georgien hat der einstige Hoffnungsträger Michail Saakaschwili erst ein irrwitziges Kriegsabenteuer mit Russland vom Zaun gebrochen und sich anschließend kaum weniger brutal die aufbegehrende Opposition im Innern vorgeknöpft. Armenier und Aserbaidschaner halten es seit dem Zerfall der UdSSR ebenfalls lieber mit autoritärer Herrschaft als mit Freiheit und Rechtsstaatlichkeit. Bleibt unter den Ländern, die Brüssel zu seinen privilegierten Partnern im Osten erkoren hat, das kleine Moldawien - immerhin eine Art Musterschüler in dieser Klasse schwer Erziehbarer. Wäre es nicht von so existenzieller Bedeutung für die EU-Europäer, läge es nahe zu sagen: Macht euren Murks allein. Schließlich hat es in Brüssel in der Vergangenheit selten an Geld und gutem Willen gemangelt. Beides floss reichlich nach Osten. Gut möglich, dass die Lage in der Ukraine heute eine andere wäre, wenn die EU den Orangenen Revolutionären in Kiew nach ihrem Sieg 2004 eine klarere europäische Perspektive geboten hätte. Doch letztlich sind Julia Timoschenko und Wiktor Juschtschenko an ihrem übersteigerten Ehrgeiz gescheitert und nicht an mangelnder Hilfsbereitschaft im Westen. Nun also will die EU trotz alledem Assoziierungsabkommen erst mit der Ukraine und später mit den anderen östlichen Partnern abschließen. Das bedeutet Freihandel und Reisen ohne Visabeschränkungen. Man kann es keinem EU-Bürger verdenken, wenn ihm bei dieser Vorstellung angst und bange wird. Wenn in Kiew die Korruption blüht, Oligarchen die Wirtschaft und die Medien beherrschen und ein Präsident seine Kontrahenten kurzerhand einkerkern kann - was haben wir dann von seinen Landsleuten zu erwarten? Und dennoch führt schon aus Eigennutz kein Weg an dem Versuch vorbei, die Nachbarn im Osten näher an die EU zu binden. Die Alternative wäre es, an der Schengengrenze im übertragenen Sinne oder eines Tages sogar buchstäblich eine neue Mauer zu errichten und die ehemaligen Sowjetrepubliken einmal mehr an Moskau auszuliefern. Festungsbauten aber haben in der Geschichte selten zu Frieden, Freiheit und Wohlstand geführt - selbst wenn sie anfangs nur zu Verteidigungszwecken gebaut wurden. Vergegenwärtigen wir uns lieber die positive Entwicklung, die jene Länder mit Riesenschritten genommen haben, die nach 1989 der EU zustreben durften und 2004 beigetreten sind. Das beste Beispiel ist Polen, das Gastgeberland des Ost-Gipfels. Wie groß waren die Ängste im Westen, als 2007 die Schengengrenze fiel und zuletzt im vergangenen Mai der Arbeitsmarkt geöffnet wurde! Passiert ist nichts, was im Falle der Arbeitnehmerfreizügigkeit sogar zu langen Gesichtern bei westlichen Unternehmern führte, die auf einen Zustrom von Fachkräften gehofft hatten. Das Wirtschaftswunderland Polen boomt, und die exportfreudigen Westeuropäer verdienen daran kräftig mit. Eine solche Entwicklung ist in der Ukraine oder Georgien und erst recht in Weißrussland nicht so schnell zu erwarten. Aber jeder lange Weg beginnt mit einem ersten Schritt. Die EU hat dem Ukrainer Janukowitsch in den vergangenen Wochen glasklare Bedingungen für die Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens gestellt. So viel Druck war selten. In Warschau nahm Bundeskanzlerin Angela Merkel Janukowitsch erneut ins Gebet. Derzeit deutet viel darauf hin, dass er sich dem westlichen Diktat beugen und seine Jagd auf die Opposition einstellen wird. Keine Frage: Der Ukrainer muss jetzt liefern. Tut er das aber, sollte Brüssel nicht zögern und den ersten Schritt wagen.
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