Mittelbayerische Zeitung: Es ist an der Zeit, die rosarote Brille abzunehmen Leitartikel zum Ausbau der Atomkraft in Tschechien
Regensburg (ots)
Die tschechische Regierung müsste eine Gruppe Verrückter sein, wenn sie sich auf so etwas einlassen würde." Das sind die Worte, die der tschechische Ministerpräsident Petr Necas kürzlich für den deutschen Atomausstieg gefunden hat. Versetzt man sich einmal in die Lage Tschechiens und betrachtet die Energiewende in Deutschland aus deren Sicht allein durch die wirtschaftliche Brille, wird klar, welche Rechnung hinter der Aussage des tschechischen Regierungschefs steckt: Deutschland wird den Umstieg auf erneuerbare Energien nicht schaffen und spätestens dann, wenn im Land die Lichter ausgehen, auf den Zukauf tschechischen Atomstroms angewiesen sein. Für ein Land wie Tschechien, dessen Wirtschaft momentan mehr oder weniger dahin dümpelt, ist die Aussicht, massenhaft Strom zu exportieren zu können, natürlich äußerst reizvoll. So reizvoll, dass die tschechischen Politiker selbst nach den verheerenden Reaktorunglücken in Tschernobyl und Fukushima nicht einmal ansatzweise auf die Idee kommen, den Fokus nicht nur auf die möglichen Gewinne, sondern auch auf die möglichen Gefahren der Atomkraft zu legen. Dass Deutschland nach Fukushima die Kernkraft hinter sich lassen möchte, sei, so ist man in Prag überzeugt, hauptsächlich der "German Angst" geschuldet und eine Überreaktion, die sich rational nicht fassen lässt. In Tschechien müsse man sich indes keine Sorgen machen. Schließlich drohten in Mitteleuropa weder ein Erdbeben noch ein Tsunami, lässt das Prager Umweltministerium verlauten. Die Atomkraft könne mit ihren niedrigen Emissionen sogar einen Beitrag zum Umweltschutz leisten. Und zwei Drittel der tschechischen Bevölkerung pflichten dem bei. Dass es im südböhmischen Atomkraftwerk Temelin etwa 150 Störfälle gegeben hat, lässt die Tschechen offenbar kalt. Doch Tschechien macht einen Fehler, wenn es die Atomkraft weiter allein als nationale wirtschaftliche Verheißung betrachtet. Nicht nur, weil die Rechnung mit den Atomstromexporten nach Deutschland auf lange Sicht nicht aufgehen wird. Denn laut Statistischem Bundesamt exportiert Deutschland noch immer mehr Strom als es importiert - und das, obwohl acht Atomkraftwerke abgeschaltet wurden. Auch die Einführung höherer Sicherheitsstandards für Atomkraftwerke vonseiten der EU könnte den Tschechen einen Strich durch die Rechnung machen. Millionenschwere Mehrkosten schrecken Investoren ab und erhöhen den Preis für den vermeintlich so billigen Atomstrom. Und offenbar gibt es bereits jetzt Probleme bei der Vertragsvergabe für den geplanten Ausbau des Atomkraftwerks Temelin. So ist laut einem Regierungssprecher kein Bewerber in der Lage, den Ausbau im vorgesehenen Zeitraum und zum vorgesehen Preis zu verwirklichen. Tschechien sollte die rosarote Brille abnehmen. Die Aussicht auf kurzfristige Gewinne sollte Prag nicht dazu verleiten, sich nur auf die Kernkraft zu verlassen - eine Art der Energiegewinnung, deren finanzielle und ökonomische Kosten bei einer ehrlichen Rechnung den Nutzen weit überwiegt. Um in der Terminologie von Petr Necas zu bleiben: Ein wenig Verrücktheit würde der tschechischen Regierung nicht schaden. Dann nämlich würde sie realisieren, dass sich nicht allein mit Atomstrom, sondern langfristig vor allem mit innovativen Methoden der Energiegewinnung Geld machen lässt.
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