Mittelbayerische Zeitung: Deutscher Halbmond
Eine Erfolgsstory wird 50: Die Gastarbeiter haben unsere Gesellschaft und die Wirtschaft bereichert.
Regensburg (ots)
Es ist ein besonderes Jubiläum: Als die Bundesregierung vor 50 Jahren die ersten Gastarbeiter aus der Türkei anwarb, läutete sie damit - unfreiwillig und nichts ahnend - ein neues Kapitel in der deutschen Geschichte ein, ein Kapitel, das unsere Gesellschaft gründlich verändert hat - in vielerlei Hinsicht zum Positiven. Davon zeugen zahlreiche erfolgreiche und gefeierte Persönlichkeiten aus allen Lebensbereichen. Wenn jemand wie Mehzut Özil die deutsche Fußballnationalmannschaft zum Sieg führt, wird er wie ein Nationalheld gefeiert. Als einer wie Mehmet Scholl in die All-Star-Elf des FC Bayern München gewählt wurde - neben einer Legende wie Franz Beckenbauer - freuten sich die Fans gemeinsam mit dem deutsch-türkischen Ex-Nationalspieler. Wenn der Regisseur Fatih Akin bei der Berlinale Preise abräumt, titeln große Boulevardzeitungen: Endlich wieder ein Triumph für einen Deutschen. Als die Grünen Cem Özdemir zum Vorsitzenden wählten, hat niemand gefragt: "Cem - wer?". Doch was heute normal ist, war früher alles andere als selbstverständlich: Viele hätten noch vor wenigen Jahren eine Diskussion darüber angezettelt, ob ein Politiker mit türkischen Wurzeln eine deutsche Partei anführen darf. Viele hätten behauptet, dass man einen Künstler mit dem Vornamen Fatih nicht ernst nehmen kann. Viele hätten lautstark debattiert, ob ein Sportler, dessen Eltern oder Großeltern vom Bosporus stammen, überhaupt etwas in der deutschen Nationalmannschaft verloren hat. Die Bundesrepublik im Jahr 2011 stellt diese Fragen nicht mehr. Das ist ein starkes Indiz dafür, dass sich das deutsch-türkische Kapitel trotz der Sarrazinschen Stammtisch-Nebelkerzen insgesamt zu einer Erfolgsgeschichte entwickelt hat. Davon zeugen auch 80 000 Unternehmer, in deren Büros und Ladengeschäften neben der deutschen Flagge der Halbmond hängt. Die türkischstämmigen Unternehmer haben 400 000 Arbeitsplätze in Deutschland geschaffen. Sie erwirtschaften einen eindrucksvollen Jahresumsatz von 35 Milliarden Euro. Davon zahlen sie brav Steuern und Sozialabgaben. Wer angesichts dieser Fakten pauschal von "Kopftuchmädchen", "Parallelkulturen" und "bildungsfernen Sozialschmarotzern" spricht, ist entweder ein Ignorant oder ein Volksverhetzer. Die türkischen Mitbürger haben Besseres verdient als Beschimpfungen. Denn ohne ihren Fleiß wäre auch das Wirtschaftswunder in den 60er-Jahren nicht so fulminant verlaufen. Hunderttausende Gastarbeiter schufteten damals an Hochöfen, in Kohlegruben, in Autofabriken, weil nach dem Mauerbau der Zustrom junger Arbeitskräfte aus Ostdeutschland jäh abriss. Ohne die neuen Beschäftigten aus Istanbul, Ankara oder Südostanatolien wäre die Konjunktur wahrscheinlich schon weit vor der ersten Ölkrise eingebrochen. Als Mindestmaß an Dank sollte man die Türken endlich als vollwertige Mitbürger akzeptieren. Natürlich wäre es naiv, die Schattenseiten der Zuwanderung auszublenden. Es gibt Sprachprobleme, es existieren Bildungsdefizite, in manchen Großstädten entstanden Ghettos, in die sich Deutsche nicht hineintrauen, wir haben Problembezirke, in denen es mehr Verbrechen gibt als anderswo. Letzteres hängt aber nicht mit der Frage der nationalen Herkunft zusammen, sondern mit schlechter Bildung und hoher Arbeitslosigkeit. Wenn Politiker über die gescheiterte Integration reden, dann hat dies damit zu tun, dass es jahrzehntelang keine Integrationspolitik gab. Das impliziert schon die Wortschöpfung "Gastarbeiter". Sie besagt: Wir sind kein Einwanderungsland. Macht eure Arbeit, dann verschwindet wieder. Ein Durchreisender muss nicht integriert werden. Die Türken sind aber geblieben. Weil ihre Chefs sie nicht gehen lassen wollten, weil sie selbst zu erfolgreichen Unternehmern wurden und weil die Bundesrepublik zu ihrer Heimat geworden ist. Sie haben nicht darauf gewartet, bis eine Regierung sie integriert. Sie haben ihr Schicksal selbst in die Hand genommen und sind längst ein Teil Deutschlands.
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