Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zu Ratingagenturen
Regensburg (ots)
Zweierlei Maß
Statt den Schuldenschlendrian zu beenden, werden Verschwörungstheorien über die Ratingagenturen gepflegt.
Von Roman Hiendlmaier, MZ
Es war natürlich wieder eine amerikanische Ratingagentur, noch dazu am Freitag, den 13. War es im November vergangenen Jahres noch ein "Versehen", dass Standard & Poors Frankreich ein paar Stunden lang zurückstufte, gibt's nun daran nichts mehr zu deuteln: S&P senkt die Bonität von neun der 17 Euro-Länder, darunter die von Frankreich und Österreich. Beinahe interessanter als die Botschaft aus New York waren die Reaktionen darauf. Was zum einen daran liegt, dass eine Fundamentalkritik an der Abstufung eigentlich entfallen konnte. Die Fakten und Folgen einer jahrelangen Schulden-Verdrängungspolitik lagen klar auf dem Tisch: Von der Leugnung eines raschen Anstiegs der Staatsverschuldung (Frankreich) bis zum Schönfärben des Engagements in hoch verschuldeten Problem-Ländern wie Italien und Ungarn (österreichische Banken) - alles seit Wochen und Monaten bekannt und berichtet. Darüber hinaus hatten die Amerikaner im Dezember diesen Schritt angekündigt. Und dann relativierten die Bonitätsprüfer auch noch, dass sie mit ihrem Urteil lediglich den Trend von Entwicklungen abbilden. Was wiederum die Diagnose für den deutschen Patienten rechtfertigt: zwar (auch) hoch verschuldet, aber auf einem sehr guten Weg der Besserung. Die Finanzmärkte waren die ersten, die zum Tagesgeschäft übergingen. Der Rundumschlag sei keineswegs überraschend und daher längst in den Kursen enthalten, hieß es noch am Freitagabend. Da feilten in Deutschland noch Politiker an ihren Statements, deren Duktus jedoch völlig anders ausfiel: Von Gregor Gysi bis Markus Söder, Politiker aller Couleur holten wieder ihren Lieblingsfeind aus der Kiste und droschen munter auf ihn ein. Von "Verschwörung", gar "Krieg" war die Rede, von "zu viel Macht" und einer "europäischen Ratingagentur". Dieses Lamento nach jedem unbequemen Urteil mag "der Schärfung des eigenen Profils" dienen, wie es im Polit-Jargon heißt, der Sache jedoch nicht. Vor allem die Mär der Euro-Ratingagentur als Gegenpol zu den angeblich unfairen Urteilen der US-Agenturen wird durch notorische Forderungen nicht glaubwürdiger. Nur: Zu welcher grundsätzlich anderen Einschätzung als die amerikanischen Kollegen soll denn eine EU-Agentur kommen? Und wenn die Agentur, um Fremdeinfluss auszuschließen, wie vorgeschlagen den Status einer Behörde hätte - würden die Investoren weltweit den EU-Beamten dann mehr Glauben schenken? Möglicherweise ist die US-Troika Fitch, Moody's und Standard & Poors beeinflusst durch die amerikanische Politik und die Wall Street. Und verglichen mit Schuldenstand und Neuverschuldung von USA und Japan müssten deren Ratings deutlich schlechter sein. Wer jedoch aus dieser Argumentation heraus dem Ratingtrio die grundsätzliche Glaubwürdigkeit abspricht, muss auch vor der europäischen Haustüre kehren. Wie lässt sich etwa der Wandel der Europäischen Zentralbank rechtfertigen, vom unabhängigen und rein der Geldwertstabilität verpflichteten Institution zur schlichten "Bad Bank" für Staatspapiere klammer Euro-Länder? Die Umstände der Veröffentlichungen mögen kontrovers sein, vielleicht wird jenseits des Atlantiks auch mit zweierlei Maß gemessen - in der Sache haben die Ratingagenturen jedoch Recht: Wer jahrzehntelang über seine Verhältnisse lebt, bekommt irgendwann die Quittung. Ohne die Bonitätswächter wären das unsere Kinder und Enkel, nun müssen wir selbst den Schuldenschlendrian in den Staatshaushalten beenden. Und zwar, wie es sich in einer Union gehört, gemeinsam ohne laufende Extratouren. Ausgaben streichen, Einnahmen erhöhen und währenddessen von Bonitätswächtern abgewatscht zu werden, ist schmerzhaft. Allerdings: Gelingt der Abschied vom Leben auf Pump, wird zwar ein Freitag, der 13., seinen Schrecken nicht verloren haben, dafür aber Ratingurteile - egal woher und von wem sie stammen.
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