Mittelbayerische Zeitung: Kommentar zu Ungarn von Ulrich Krökel
Regensburg (ots)
Ungarn in Aufruhr: Die einen, die Guten, marschieren für die Rettung der Demokratie. Die anderen, die Bösen, lassen die Europa-Flagge in Flammen aufgehen und fordern einen Austritt aus der EU. Die Dritten schließlich, die Mächtigen, demonstrieren schweigend für ihren Heilsbringer, den rechtspopulistischen Ministerpräsidenten Viktor Orban. Und aus Brüssel schickt die Europäische Kommission Drohbriefe. Quo vadis, Hungaria? Sicher ist: Die europäische Öffentlichkeit tut gut daran, in der EU nicht jene letzte Instanz zu sehen, die Ungarn mit Druck auf den Pfad der demokratischen Tugend zurückführen kann. Drei Vertragsverletzungsverfahren hat Brüssel gegen den nach rechts ausgescherten Orban eingeleitet. Doch den in die Schäm-dich-Ecke gestellten Budapester Populisten kümmert das wenig. Er kündigt Entgegenkommen an, ohne sich wirklich auf seine Kritiker zuzubewegen. Tatsächlich hat Orban nicht allzu viel von der EU zu befürchten. Ein ähnliches Szenario wie jetzt haben beide Seiten vor Jahresfrist schon einmal durchexerziert. Damals ging es um das Mediengesetz, mit dem Orban die Pressefreiheit ausgehebelt hat. Die EU schrieb einen Brief, der Ungar korrigierte Details - und das war es. Das demokratiefeindliche Gesetz blieb bestehen. So auch diesmal: Orban hat mit der Zweidrittelmehrheit seiner Fidesz-Partei eine Verfassung in Kraft gesetzt, die ihm den Weg zu einer autoritären Herrschaft ebnet. Was aber moniert die EU? Die Zentralbank müsse unabhängig bleiben, ebenso die Datenschutzbehörde. Das ist schön und gut. Aber an die Wurzel des Übels, die neue Verfassung, kommt die EU nicht heran. Sanktionen wird es gegen Ungarn nicht geben. Damit haben sich die Europäer schon einmal, im Falle des Österreichers Jörg Haider, die Finger verbrannt. Wenn jemand Orban Einhalt gebieten kann, dann sind dies die Ungarn selbst. Doch die haben ihren starken Mann in freien Wahlen mit jener gewaltigen Machtfülle ausgestattet, die er nun missbraucht. Seit wenigen Wochen protestieren Linke und Liberale endlich sichtbar gegen die autoritären Umtriebe des Fidesz-Führers. In den Umfragen hat Orban zuletzt deutlich an Zuspruch verloren. Doch es ist längst nicht ausgemacht, ob es an der Donau eine Wende geben kann. Das hat der Schweigemarsch von 100 000 Orban-Anhängern deutlich gezeigt.
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