Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zum deutsch-italienischen Verhältnis von Sebastian Heinrich
Regensburg (ots)
Es war ein Titel wie ein Schlag in die Magengrube: "Wir haben Schettino, ihr habt Auschwitz" stand am 27. Januar, am Gedenktag für die Opfer der Schoah, auf der ersten Seite der italienischen Zeitung "Il Giornale". Die gehässige Überschrift war die Reaktion auf einen herablassenden Spiegel-Online-Artikel. Darin wurde die Fahrerflucht Francesco Schettinos, Kapitän des verunglückten Kreuzfahrtschiffs "Costa Concordia" mit dem "italienischen Volkscharakter" erklärt und behauptet, zu einer solchen Tat wäre ein deutscher oder britischer Kapitän nie fähig gewesen. Nun ist "Il Giornale" - das Blatt gehört der Familie von Ex-Premier Berlusconi - für knallharten Populismus bekannt. Aber mit dem Skandal-Titel surft die Zeitung auf einer Welle antideutscher Stimmung. Seit Monaten fühlt man sich südlich der Alpen herumkommandiert von den europäischen Führungsnationen Frankreich und vor allem Deutschland. Die Bevölkerung ist hart getroffen von dem von Europa gewollten Spardiktat, das Mario Montis mit ehemaligen Bankern besetzte Regierung in die Tat umsetzt. Unter ihr sind die Mehrwertsteuer gestiegen, Benzinpreise und Besteuerung niedriger Renten nach oben geschnellt. Die Hoffnung nach einer neuen, gerechteren Politik nach der Ära des korrupten Polit-Kaspers Berlusconi haben sich bisher nicht erfüllt. Die Jugendarbeitslosigkeit hat einen Rekordwert von über 30 Prozent erreicht. Im vermeintlich reichen Norditalien bringen sich reihenweise von der Krise gebeutelte Kleinunternehmer ums Leben - während die Politik sich weiter erfolgreich dagegen sträubt, auf astronomische Gehälter, absurde Privilegien und überflüssige Behörden zur Versorgung von Günstlingen zu verzichten. Italien hat sich mit Berlusconis Rücktritt seiner größten Schande entledigt, aber den Menschen geht es eher noch schlechter als vorher. Keine Frage, Italien braucht einen rigiden Sparkurs, um nicht unterzugehen. Aber Schuld an der Misere ist ein malades politisches System, von dem nur wenige profitiert haben. Und die Zeche bezahlen jetzt vor allem die Ehrlichen. Diese Ungerechtigkeit macht viele wütend - besonders auf Europa und damit auf Deutschland. Schließlich scheint den EU-Granden nur daran gelegen, dass Italien seinen Staatshaushalt saniert. Ohne darauf zu achten, wie stark der Durchschnittsbürger darunter leidet. Diese Haltung spielt Populisten und Scharfmachern in die Karten, die - wie "Il Giornale" - den "Feind von außen" heraufbeschwören und vergessen geglaubte Ressentiments wieder hochkochen lassen. Und aus deren Sicht eignet sich Deutschland aufgrund seiner Vormachtstellung vortrefflich für diese Rolle. Dabei war Deutschland jahrelang ein großes Vorbild gerade für progressive Kräfte in Italien, die sich gegen die Regierung Berlusconi einsetzten. Wegen seines im europäischen Vergleich gerechten Gesellschaftssystems, wegen vergleichsweise hoher sozialer Standards und der Chancen, die die brummende deutsche Wirtschaft jungen, qualifizierten Arbeitskräften bot. Die deutsche Regierung täte gut daran, an dieses positive Image anzuknüpfen - und in ihrer Rolle als politische Triebkraft der EU nicht nur immerfort das Sparen zu predigen, sondern auch darauf zu achten, dass die bitter nötigen Einschnitte nicht ausschließlich auf den schwächeren Schultern lasten. Sonst wird die antideutsche Welle in Italien weiter anschwellen - und nicht nur dort.
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