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Mittelbayerische Zeitung: Leerstelle in Bellevue

Regensburg (ots)

Von Christian Kucznierz

Es heißt, am Ende stürze man nicht über die Affäre selbst, sondern über das, was man über sie sagt. Christian Wulff ist gestürzt über das, was er nicht gesagt hat. Oder was er erst zu spät gesagt hat. Am Ende war es eine Jagd auf den Bundespräsidenten, das ist sicher richtig. Aber diese Hatz auf das Staatsoberhaupt, so kleinlich, ja albern sie in manchen Punkten auch gewesen sein mag, war es nicht, die Wulff zu Fall gebracht hat. Er war es selbst. Die Jagd hätte gar nicht sein müssen, wenn der Bundespräsident das getan hätte, was er bis zuletzt behauptete: die Wahrheit sagen. Und zwar schnell, direkt, umfassend. Er hat es unterlassen, bis zuletzt die Staatsanwaltschaft an seiner Tür zu klopfen drohte. Zumindest das hat Wulff diesem Land erspart. Die Leerstelle, die Wulff jetzt hinterlässt, ist nicht wirklich das Problem. Sie existiert schon länger, eigentlich seit den zurecht viel beachteten Aussagen des Bundespräsidenten zum Islam in Deutschland und zum Christentum in der Türkei. Danach war es leise geworden um Bellevue. Kein Wort zur Energiewende, die eines Tages als epochaler Einschnitt in den Geschichtsbüchern stehen wird. Kein Wort zur Schuldenkrise in der Euro-Zone, die uns für Jahre, wenn nicht Jahrzehnte begleiten wird. Wenig zum Rechtsterror in Deutschland. Als wieder etwas aus Bellevue zu hören war, war es der Lärm der Vorwürfe, der Affären und Affärchen, die dem einstigen niedersächsischen Ministerpräsidenten vorgehalten wurden. Und jetzt ist es nur noch leer im Amtssitz des deutschen Staatsoberhaupts. Doch gilt es nun, diese Leere sinnvoll zu füllen. Das klingt leichter, als es ist. Denn was für einen Bundespräsidenten wollen wir haben? Einen, der von außerhalb der Politik kommt? Den gab es bereits. Horst Köhler aber war der Aufgabe nicht gewachsen, weil sie eine politische ist und dementsprechend beizeiten eine dicke Haut erfordert. Die hatte Köhler nicht. Der Polit-Profi Christian Wulff hingegen hatte von ihr mehr, als gut war. Merkel hat völlig zurecht eine Lösung unter Einbeziehung von SPD und Grünen versprochen, die dann eigentlich nur Joachim Gauck heißen kann. Das klingt richtig und pragmatisch, zumal Merkel Sympathien für Gauck hegt. Doch politisch ist das ein Akt der Verzweiflung. Gegen Gauck musste die Bundeskanzlerin ihre Reihen unter massivem Druck schließen. Er unterlag erst im dritten Wahlgang gegen Wulff. Nun könnte er doch an die Spitze des Staates aufrücken. Diese Option wäre zwar Beweis für folgerichtiges Handeln im Angesicht einer Krise. Sie enthält aber gleichzeitig das Eingeständnis, dass das höchste Amt im Staat nur noch aus taktischen Überlegungen besetzt wird. Sogar ein übergreifendes Thema für die Amtszeit lässt sich offensichtlich noch quasi posthum finden. Merkel und Wulff versuchen die Bemühungen des Bundespräsidenten um Integration in den Fokus zu rücken. Eine Verzweiflungstat, damit nicht das Bild vom Schnäppchen-Präsidenten in den Köpfen bleibt. Wie jedes gute Schloss, so hat auch Bellevue künftig einen Geist. Es ist der Geist des Misstrauens, der sich dort mit der Affäre Wulff breitgemacht hat. Jeder neue Bundespräsident, ob Gauck oder nicht, wird sich mit diesem Geist konfrontiert sehen. Es wird ein harter Kampf um das Vertrauen der Bürger sein, den der künftige Bundespräsident zu kämpfen hat. Die Parteispitzen von CDU/CSU, FDP, SPD und Grünen sollten sich gut überlegen, wem sie diese Aufgabe übertragen wollen. Eine weitere Fehlbesetzung darf sich dieses Land im Eigeninteresse nicht erlauben. Denn eigentlich haben wir viel größere Probleme. Die Schuldenkrise wartet auf ein starkes Deutschland. Stark kann es aber nur sein, wenn es in seinem Inneren gefestigt ist. Dazu gehört auch, dass die Leerstelle in Bellevue endlich gefüllt wird mit einem Kandidaten, der sie nicht als Lehrstelle ansieht, wie es Wulff tat. Bevor sich die Republik das noch einmal antut, sollte sie überlegen, ob sie sich nicht künftig viel Zeit, Mühen und Geld spart und nicht lieber auf den Bundespräsidenten verzichtet. Dass das ganz gut geht, erleben wir schließlich seit 2009.

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