Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zu Oscar-Verleihung von Claudia Bockholt
Regensburg (ots)
Müdigkeit macht sich breit nach der Oscar-Nacht, nicht nur bei den 500 000 in Deutschland, die sich für das glamouröse Spektakel eine Nacht um die Ohren geschlagen haben. Billy Chrystal, Christopher Plummer, Martin Scorsese - und natürlich Oscar selbst: Eine Riege alter Herren schiebt sich Jahr für Jahr gegenseitig ins Scheinwerferlicht. Der 82-jährige Plummer sagte zur Trophäe in seiner Hand: "Du bist nur zwei Jahre älter als ich, Darling. Wo hast Du mein ganzes Leben gesteckt?" Das war einer der besten Gags der Gala - und mithin der Beleg, dass der Goldjunge von Patina befreit werden muss, bevor er jeden Glanz verliert. Schon winzige Überraschungen hätten den Abend zum Glänzen gebracht. Aber natürlich hat - wie seit Wochen vermutet - "The Artist" die meisten Auszeichnungen erhalten. Die Mitglieder der Academy of Motion Picture Arts and Sciences haben durchaus die Größe, eine kleinere europäische Produktion auszuzeichnen. Doch Mut beweisen sie damit nicht. Vielmehr blickt die Academy ungeniert sentimental auf die eigenen Anfänge zurück, als noch Mister Douglas Fairbanks senior ihr Vorsitzender war - selbst ein Stummfilmstar, der seine Popularität nicht in die Tonfilm-Ära hinüberretten konnte. Auch der zweite Gewinner des Abends, Scorseses romantisches Märchen "Hugo Cabret", ist eine Hommage ans Kino selbst, an den französischen Filmpionier Georges Méliès. Zwei gelungene Filme, zweifellos. Ebenso wie "The King's Speech", der 2011 mit Oscars überhäuft wurde. Doch in Licht, Kostümen und Nostalgie zu schwelgen, ist nicht genug. Kurioserweise wurde der Berlinale in diesem Jahr genau das angekreidet, was die Oscar-Verleihung vermissen lässt: Kino von gesellschaftlicher und politischer Relevanz. Die nicht immer bei den Kritikern, aber an den Kassen ziemlich erfolgreiche Regisseurin Doris Dörrie beklagte, dass der Wettbewerb um den Bären den Zuschauer aus dem Auge verliere. Sie sprach von einem "unklugen Auseinanderdividieren von Filmen fürs Publikum und Filmen fast gegen das Publikum". Ein erstaunliches Statement im Land großer Autorenfilmer und vieler Programmkinos. Streifen wie "Ziemlich beste Freunde" beweisen ja, dass charmantes Kino mit Anspruch auch ohne Goldstatuetten auskommt. Diese Komödie ist seit Monaten in ganz Europa ein Kassenschlager, der César dafür kam erst vor einer Woche. Die höhere Gewichtung des kritischen, manchmal schwer zugänglichen Films in Berlin ist nicht zuletzt ein Garant dafür, dass Hollywoodstars, die mal aus dem Blockbusterbusiness ausscheren wollen, gerne in die deutsche Hauptstadt kommen. Angelina Jolie stellte in Berlin ihr Balkankriegsdrama "In The Land Of Blood And Honey" vor und erhielt den Ehrenpreis der "Cinema for Peace"-Foundation. Bei den Oscars war sie Laudatorin und eine Hälfte von Brangelina. Man muss sie wohl nicht fragen, welche Veranstaltung ihr mehr bedeutet hat. Um einiges voraus war die Berlinale dem Oscar schon 2011, als die Jury "Nader und Simin" den Goldenen Bären zuerkannte. Asghar Farhadi bringt die Wirklichkeit in seinem Heimatland auf die Leinwand, zeigt der Welt ein spannendes Drama aus dem iranischen Alltag. Sonntagnacht hat es noch einen Academy Award dazubekommen. Der Regisseur widmete ihn "den Menschen, die alle Kulturen und Zivilisationen respektieren" und der Bevölkerung des Iran. Ein kurzer Moment, der die großen Möglichkeiten von Film aufzeigte. Mehr echtes Leben - weniger Eskapismus: Diesem Vorsatz sollte Hollywood 2013 den roten Teppich ausrollen.
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