Mittelbayerische Zeitung: Verpasste Chance Die Maßnahmen der EU greifen nicht: Orban hat Ungarn weiter fest in seiner Hand. Leitartikel von Ulrich Krökel
Regensburg (ots)
Dem rechtspopulistischen ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban bot sich gestern eine große Bühne. Rund 100 000 Menschen kamen nach Budapest und jubelten ihm am Nationalfeiertag zu. Orban nutzte die Gelegenheit, um alte und neue Feindbilder zu beschwören und so einmal mehr die Notwendigkeit revolutionärer Veränderungen zu begründen. Die sozialistische Opposition dient ihm dabei ebenso als Schreckgespenst wie die EU. Unter der Überschrift einer "nationalen Revolution" war Orban nach seinem triumphalen Wahlsieg vor knapp zwei Jahren angetreten, um Ungarn von Grund auf zu verändern. Auf diesem Weg ist er weit vorangekommen. Spätestens die neue Verfassung, die er dem Land mit der Zweidrittelmehrheit seiner Fidesz-Partei zu Jahresbeginn verordnet hat, hat ihm den Weg zu einer Alleinherrschaft geebnet. Die Unabhängigkeit der Justiz und die Freiheit der Medien hat er bereits weitgehend zerstört. Widerstand regt sich im In- und Ausland. Der 15. März ist als Nationalfeiertag ursprünglich ein Tag der Opposition. 1848 stiegen die Ungarn im österreichischen Kaiserreich für ihre Selbstbestimmung auf die Barrikaden. Gestern waren es vor allem junge Facebook-Aktivisten, die gegen Orban mobil machten. Doch die Hoffnung, dass sie eine politische Wende einleiten können, ist minimal. Der Bewegung fehlen Programm und Persönlichkeiten. Den etablierten Oppositionsparteien - allen voran den Sozialisten - hängen unterdessen noch immer die Korruptionsskandale an, die sie in ihrer Regierungszeit zwischen 2002 und 2010 zu verantworten hatten. Nicht viel mehr Durchschlagskraft besitzen die Sanktionen der EU. Am Dienstag machten die Finanzminister der Union Ernst: Der notorische Defizitsünder Ungarn muss im kommenden Jahr auf eine halbe Milliarde Euro aus der Brüsseler Strukturförderung verzichten. Zuvor schon hatte die EU-Kommission drei Vertragsverletzungsverfahren gegen Budapest eingeleitet, weil dort außer der Justiz auch die Notenbank und die obersten Datenschützer nicht mehr unabhängig handeln können. Die Frage allerdings muss erlaubt sein, ob die Kürzung der Strukturförderung das richtige Mittel ist, um Orban zur Besinnung zu bringen. Denn genau diese Frage stellen sich Ungarns Bürger auch. Und der Populist Orban wird sie ihnen nicht nur am Nationalfeiertag, sondern immer wieder zurufen. Seht her, wird er sagen, die EU straft uns ab, weil wir eine aufrechte nationale Politik betreiben. Tatsächlich hat der jüngste Defizit-Beschluss einen faden Beigeschmack. Der Verdacht liegt nahe, dass Ungarn aus politischen, nicht aus stabilitätsstrategischen Gründen abgestraft wird - zumal der finanzpolitische "Sünderstaat" Spanien zeitgleich verschont blieb. Unstrittig ist: Die EU hat Orban kurz vor dem Nationalfeiertag Munition geliefert. Das war nicht nur ungeschickt, sondern dumm. Und es zeigt, dass die EU überfordert ist, wenn sie einzelne, politisch missliebige Mitgliedsländer zur Räson bringen will. Der wichtigste Grund dafür ist das fehlende Instrumentarium. Wer einmal drin ist im Klub, den kann man nicht so ohne weiteres wieder hinauswerfen. Für Ungarn bedeutet dies zweierlei. Zum einen wird es weder der Opposition in Budapest noch den Orban-Gegnern in Brüssel gelingen, den rechtspopulistischen "Revolutionär" von der Macht zu verdrängen. Zum anderen geht Ungarn angesichts des wirtschaftlichen Niedergangs und der politischen Dauerkonfrontation schweren Zeiten entgegen. Das kann niemand wollen. Gefragt sind deshalb jene, die direkten Einfluss auf Orban ausüben könnten. Dazu gehört vor allem die Bundesregierung. Die ungarische Wirtschaft hängt weitgehende am Tropf der deutschen. Kanzlerin Angela Merkel aber hat andere Sorgen. Sie lässt die Dinge treiben. Dumm nur, dass sie in die falsche Richtung treiben.
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