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Mittelbayerische Zeitung: Entmündigte Eltern

Regensburg (ots)

Von Manfred Sauerer

Als das Bundesverfassungsgericht vor zwei Jahren eine Selbstverständlichkeit anmahnte, reagierte Familienministerin Ursula von der Leyen mit einem verwaltungstechnischen Monstrum, dem "Paket für Bildung und Teilhabe". Um Kindern aus armen Familien die geforderten besseren Lebens- und Entwicklungschancen zu ermöglichen, erhöhte die Bundesregierung nicht etwa die finanziellen Regelsätze für die Kinder, sondern zwang die Eltern in ein entwürdigendes System aus Anträgen und komplizierter Informationsbeschaffung. Von der Leyen zog nach einem Jahr Bildungspaket nun am Freitag eine positive Zwischenbilanz. Das mutete beinahe ein wenig zynisch an. Denn dass zuletzt gut 50 Prozent aller Berechtigten bestimmte Leistungen in Anspruch genommen haben, heißt ja auch, dass die andere Hälfte dies nicht getan hat. Egal, ob es aus Unkenntnis, Scham oder Bequemlichkeit geschah: Unser Grundgesetz fordert das sogenannte sozio-kulturelle Existenzminimum für alle Kinder. Die erste Blamage für die deutsche Politik also war, dass das Bundesverfassungsgericht überhaupt in Aktion treten musste. Und nun ist nicht minder blamabel, dass eine "halbe" Umsetzung des Auftrags als Erfolg verkauft wird. Wenn man bedenkt, dass die Langzeitarbeitslosen, Geringverdiener und Wohngeldbezieher die meisten Anträge für Zuschüsse zum Mittagessen in den Schulen stellen, gefolgt von solchen für Ausflüge oder Klassenfahrten ihrer Kinder, dann will einem nicht in den Kopf, warum diese Mittel nicht von vornherein an die sozial schwachen Familien fließen können. Die Unterstellung, die Eltern würden das Geld sonst lieber in Unterhaltungselektronik investieren, kommt einer Entmündigung dieser Bürger gleich und ist mit dem Grundgesetz nicht in Einklang zu bringen. Trifft die Einschätzung des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes zu, dass bislang nur etwa ein Fünftel des eine Milliarde schweren Pakets abgerufen wurde, wird man zudem folgenden Eindruck nicht los: Indem der Staat psychologische und bürokratische Hürden aufbaut, enthält er einem Teil seiner jungen Bürger grundlegende und verpflichtende Leistungen vor. Wer Angebote von Kinder- und Jugendarbeit in Verbänden und Sportvereinen mit Gutscheinen einlösen muss, überlegt sich dies zweimal. Überdies entsprechen die Gutscheine oftmals nicht dem tatsächlichen Wert der Leistung oder sind wegen fehlender Angebote etwa im ländlichen Raum gar nicht einzulösen. Wäre es nicht vielleicht sogar besser, die Einrichtungen direkt zu bezuschussen, um deren Angebote von vornherein kostenlos möglich zu machen? Dass schließlich im Hartz-IV-System ein Wirrwarr von Leistungszuständigkeiten herrscht, ist zwar bekannt, entfaltet im Bereich des Bildungspakets aber eine zusätzlich negative Wirkung. Und um es so richtig kompliziert zu machen, hatte das Verfassungsgericht den Bund zur Erfüllung des Teilhabe-Rechts an Bildung verpflichtet, obwohl die Bildung doch Ländersache ist. Die damit verbundenen Organisationskonflikte sind sicher auch ein Grund dafür, dass der bisher abgerufene Teil des Pakets mehrheitlich eben nicht für wirkliche Bildungsangebote verwendet worden ist, sondern für Essen und Ausflüge. Die Reform braucht nun dringend eine Reform. Der Verwaltungsanteil von rund 135 Millionen Euro muss deutlich gesenkt werden. Ferner ist sicherzustellen, dass die 2,5 Millionen betroffenen Kinder schnellstens in den Genuss dessen kommen, was ihnen zusteht. Es wird der künftigen Leistungsfähigkeit unserer Gesellschaft sicher gut tun.

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