Mittelbayerische Zeitung: Wegschauen ist keine Option Die Thesen des Anders Breivik sind unerträglich - dennoch ist es richtig, dass der Prozess Öffentlichkeit findet. Leitartikel von Holger Schellkopf
Regensburg (ots)
Es ist ein weiterer Tag an dem der Massenmörder seine Bühne hat. Ein weiterer Tag, an dem er seine unerträglichen Thesen ausbreiten, seine unfassbaren Taten vor den Augen und Ohren der ganzen Welt schildern kann. Ein weiterer Tag, der kaum auszuhalten ist. Dies gilt ganz besonders für die Angehörigen der Opfer, aber auch für alle Anderen, die mit den Aussagen von Anders Breivik konfrontiert werden. Selbstverständlich stellt sich dabei geradezu unausweichlich die Frage, ob man Breivik diese Bühne geben soll. Es stellt sich die Frage, ob man über diesen Prozess ausführlich berichten darf. Es stellt sich die Frage, ob man den Menschen die Aussagen des Attentäters zumuten kann. Auf all diese Fragen gibt es nur eine Antwort: Man muss! Bei allem Verständnis für die Kritik, die viele Medien - auch uns - beinahe täglich deshalb erreicht: Die Öffentlichkeit des Prozesses ist nicht nur richtig, sie ist wichtig. Dafür gibt es ein ganzes Bündel an Gründen. Dazu gehört, dass schon allein die Dokumentation der Rechtsstaatlichkeit dieses Verfahrens ein Beweis der Stärke ist. Ein Beweis für die Stärke der Demokratie. Ein Beweis dafür, dass der Terror des Anders Breivik unser Werteverständnis nicht erschüttern kann. Zu diesem Verständnis gehört auch, dass selbst ein Massenmörder den Anspruch auf ein gerechtes Verfahren hat. Es gehört zu den Aufgaben der Medien, genau dies ganz deutlich zu machen. Es ist dabei auch der Job der Journalisten, mit einem unausweichlichen Dilemma umzugehen: Wie viel und was kann man transportieren, ohne zum Instrument der Propaganda zu werden? Deshalb ist es keine Frage, ob über den Prozess berichtet wird, es ist nur die Frage, wie dies geschieht. Dabei kommt es vor allem auf Einordnung an, auf Orientierung - aber auch auf die Demaskierung der schrecklichen Selbstdarstellung Breiviks. Seine lächerliche Einlassung, die Medien würden nationalistische Ideologien quasi gegen den Willen der Menschen zensieren wird schon alleine dadurch ad absurdum geführt, dass er sie öffentlich verbreiten darf. Natürlich ist es eine Gratwanderung. Natürlich versuchen auch wir jeden Tag, den richtigen Weg zu finden, um die wichtige journalistische Begleitung zu leisten, ohne dem Täter zu sehr die Möglichkeit zur Selbstdarstellung zu geben. Dies geschieht auch in der Überzeugung, dass niemand einfach so den Thesen Breiviks folgt, weil er sie bei uns gelesen hat. In der Überzeugung, dass niemand zum Massenmörder wird, weil Medien über diesen Prozess berichten. Und es geschieht im Bewusstsein, dass es - so schwer diese Tatsache auszuhalten ist - in unserer Welt noch einige potentielle Breiviks gibt. Die jüngsten Aussagen haben geradezu bewiesen, wie wichtig eine umfassende Berichterstattung aus dem Prozess ist. Breivik hat beschrieben, wie er sich auf den Anschlag vorbereitet hat. Er hat dabei eine Reihe von Verhaltensmustern preisgegeben, die bereits bei anderen Tätern festzustellen waren. Wenn es nur einmal gelingt, in der Kenntnis solcher Muster einen potentiellen Täter rechtzeitig zu identifizieren und zu stoppen, hat es sich gelohnt, diesen Prozess öffentlich auszutragen. Dann wird auch Breivik erkennen, dass er zwar eine Bühne bekommen hat, darauf aber kläglich gescheitert ist. Mit Wegschauen könnte uns dies aber in keinem Fall gelingen.
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