Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zu Angela Merkel
Regensburg (ots)
Berg ohne Tal
Angela Merkel hat bislang alle Probleme gemeistert. Doch der Herbst wird schwierig werden.
Von Christian Kucznierz, MZ
Die Kanzlerin verbringt die Sommerfrische meist in den Bergen beim Wandern. Man könnte sagen: Angela Merkel macht im Urlaub das, was sie am besten kann: schwierige Bergaufstrecken meistern. Sie hat dabei ein Kunststück vollbracht, das ihr so schnell keiner nachmachen wird: Den Abstieg, der beim Bergwandern kommt, hat sie nie erleiden müssen. Wenn man so will, hat die Kanzlerin den Berg ohne Tal erfunden. Wie lange das aber noch gut geht, ist unsicher. Der Herbst der Entscheidungen steht an. Und diesmal ist es nicht wie beim letzten Mal, als ein solcher ausgerufen wurde, eine Zeit, in der die Koalition sich zusammenraufen und Nägel mit Köpfen machen will. Die Entscheidungen, die anstehen, werden anderswo gefällt: in Karlsruhe etwa, wo die Verfassungsrichter im September über den permanenten Rettungsschirm ESM und den Fiskalpakt urteilen. Sollte das Gericht den Klagen gegen diese Instrumente zur Bekämpfung der Euro-Schuldenkrise Recht geben, wird es brenzlig. Zumal im Oktober der Bericht der Troika aus Internationalem Währungsfonds IWF, der Europäischen Zentralbank EZB und der EU ansteht. Dann wird klar sein, ob Athen seine Auflagen erfüllt - und ob eine weitere Finanzspritze nötig ist. Ein weiteres Mal vor den Bundestag zu treten, um Geld für Griechenland einzubetteln, hat die Kanzlerin bereits ausgeschlossen. Ein Ausscheiden der Griechen aus dem Euro aber ist ein Szenario, das Merkel immer als nicht diskutabel dargestellt hat - ganz im Gegensatz zu ihren Koalitionspartnern. FDP und CSU haben die flauen Sommerwochen geschickt dafür genutzt, mit ihren Aussagen zu Griechenland ihr eigenes Profil zu schärfen. FDP-Chef Rösler sagt, dass ein Euro-Aus für Athen für ihn den Schrecken verloren hat. In seiner Partei hat sich die Lesart durchgesetzt, wonach der ESM gerade dafür erfunden wurde, um eine Staatspleite auffangen zu können. Das ist richtig, aber die Interpretation der CDU, allen voran von Merkel und Finanzminister Wolfgang Schäuble, ist, dass der Rettungsschirm eine solche Pleite verhindern helfen soll. Ob Rösler wirklich keine "Angst vor dem Grexit, dem Austritt" Griechenlands aus dem Euro hat, spielt allerdings weniger eine Rolle als der Zweck seiner Aussage: Er positioniert sich und seine Partei für die anstehenden Wahlen in Niedersachsen im Januar und für die Bundestagswahl im Herbst 2013. Damit ist er sich seit langer Zeit - und eher zufällig - mit der CSU einig, die ebenfalls von der Linie der Kanzlerin in Sachen Euro abweicht, um bei der bayerischen Landtags- und bei der Bundestagswahl punkten zu können. Ansonsten sind sich FDP und CSU in herzlicher Abneigung verbunden. Beim Betreuungsgeld könnte es nach der Sommerpause zwischen beiden Parteien noch heftig krachen; zu dumm, dass es derzeit kein gültiges Wahlrecht gibt (eine der vielen offenen Baustellen, die im Herbst angegangen werden müssen). Ansonsten könnte man in München erwägen, die Koalition in Berlin etwa im Streit um das Herzensanliegen der CSU platzenzulassen. Denn dann würde zwischen den Wahlterminen genügend Abstand liegen, um trotz eines eventuell schlechten Ergebnisses in Berlin ein gutes Ergebnis in München zu holen. Außerdem droht der Koalition im Herbst noch Streit um die Energiewende, bei der es an vielen Stellen hakt, und die für die Verbraucher im Wahljahr 2013 richtig teuer werden kann - wie teuer, wird sich im Oktober zeigen, wenn die Berechnungen vorliegen. Auch Ursula von der Leyens Rentenpläne werden für Streit sorgen. Und in Merkels Partei herrscht nicht erst seit dem Vorstoß zu steuerlichen Gleichstellung der Homo-Ehe Unruhe. Bislang hat kein Streit der Kanzlerin etwas anhaben können. Der Einblick in ihre privaten Ansichten, den sie jetzt geschickt vor ihrer Rückkehr ins Kanzleramt mit der Beantwortung von Promi-Fragen in einem Wochenendmagazin gewährt hat, wird dem Genuss ihres Sonnenbads im Umfragehoch nur zuträglich sein. Die Frage ist, ob dieses Hoch sie über die kommenden zwölf Monate trägt. Die letzten Tage ihres Urlaubs verbrachte Merkel in der vergleichsweise flachen Uckermark. Ein Schelm, wer das als Einstimmung auf die Mühen der Ebene sieht, die auf sie warten.
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