Mittelbayerische Zeitung: Kommentar zur Lage der FDP: "Die FDP foult den Kapitän"
Regensburg (ots)
Für eines verdient Philipp Rösler tiefe Bewunderung: Die Leidensfähigkeit, die der FDP-Chef seit Monaten unter Beweis stellt, erinnert schon fast an die Schmerzunempfindlichkeit eines Fakirs. Was bei einem indischen Asketen einem endlosen Lauf über Glasscherben und glühende Kohlen entspricht - den Körper beschwert mit an der Haut aufgehängten Gewichten - findet sein politisches Pendant im Job des Ober-Liberalen. Und zwar nicht nur in Form einer verheerenden Reihe schwerer Wahlniederlagen, sondern auch in einer Serie tiefer persönlicher Demütigungen durch die eigenen Leute. Die FDP-Klausur in Mainz steht daher unter einem besonderen Zeichen. Offiziell geht es bei dem Treffen darum, den Kurs der Partei für die Bundestagswahl zu bestimmen. In Wahrheit aber diskutieren die Liberalen längst darüber, wie man Rösler an der Spitze loswird - ohne dass die FDP dabei weiteren Schaden nimmt. Vor allem wird die Frage gestellt, wer das Ruder in schwerer See übernehmen soll. Denn für die Gelben geht es um alles oder nichts. Im schlimmsten Fall werden im Herbst 2013 alle 93 Bundestagsabgeordneten arbeitslos, falls die Partei unter fünf Prozent bleibt. Dieser düstere Ausblick erklärt, warum die Nerven blankliegen und Röslers Bewährungsfrist abgelaufen ist. Die FDP kommt laut Umfragen einfach nicht aus dem Dauertief. Darüber können auch die Zwischenhochs in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen nicht hinwegtäuschen. Diese kleinen Achtungserfolge gehen allerdings nicht auf Röslers Konto. Sie wurden von den liberalen Ausnahmepolitikern Wolfgang Kubicki und Christian Lindner eingefahren. Unvergessen bleibt die Art und Weise, wie Kubicki seinen Sieg in Kiel alleine feiern wollte. Das Nordlicht schickte die zweite Garde in die FDP-Zentrale nach Berlin und ließ ausrichten, der Triumphator schlafe lieber seinen Rausch aus, als sich öffentlich mit seinem Chef zu zeigen. Dieser größtmögliche Affront heißt auf Deutsch übersetzt: "Geh endlich!" In dieselbe Richtung zielte das ausgestreckte Bein von Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Rösler erfuhr erst aus der Zeitung von ihrem umstrittenen Plan, den Ankauf von Steuer-CDs unter Strafe zu stellen. Im Fußball bezeichnet man ein solches Vorgehen als absichtliches Foul. Die FDP hat Rösler gewogen und für einen Leichtmatrosen befunden. Dem Parteichef ist es nach dem Putsch gegen Guido Westerwelle nicht gelungen, die Talfahrt zu stoppen. Zu Westerwelles besten Zeiten wurden die Liberalen von Teilen der Wähler wenigstens als Steuersenkungspartei wahrgenommen. Seit die FDP in der Regierung sitzt, lachen darüber nicht einmal mehr die Hühner. Die Partei wirkt unter Rösler ratlos und ohne Ziel. In der Euro-Krise irrlichtert der FDP-Chef herum. Zuerst fuhr er - lange vor dem CSU-Generalsekretär - schwere Kanonen gegen Griechenland auf. Als ihn die Kanzlerin zurückpfiff, rollte er sein Fähnchen brav wieder ein. Rösler hat es auch in anderen Politikbereichen nicht geschafft zu definieren, wofür die "neue" FDP eigentlich steht. Auf seiner Bilanz steht nichts - außer dem Vorwurf der Klientelpolitik. Weitere Monate der Orientierungslosigkeit sind hochriskant. Denn um die Partei inhaltlich komplett neu aufzustellen und gleichzeitig wenigstens einen Teil des verspielten Vertrauens zurückzugewinnen, ist jede Minute kostbar. Vieles deutet darauf hin, dass Fraktionschef Rainer Brüderle aufs Steuerdeck geht, egal wie die Wahl in Niedersachsen im Januar ausgeht. Denn der Parteiliebling Lindner würde - sollte es im Bund zur totalen Pleite kommen - in der Versenkung verschwinden. Ob der FDP-Stratege dieses Risiko wagt, scheint fraglich. Der leutselige Brüderle dagegen hat politisch nicht mehr viel zu verlieren. Ihm fiele die Aufgabe zu, als Interimsvorsitzender mit dem letzten personellen Aufgebot den Schaden zu begrenzen. Die FDP kämpft ums politische Überleben. Dabei geht es nicht mehr um die Frage ob, sondern wann die Besatzung den Kapitän von Bord jagt. Die Meuterei gegen Rösler ist längst in vollem Gang. Autor: Stefan Stark
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