Mittelbayerische Zeitung: Die unterschätzten Alten
Regensburg (ots)
Von Maria Gruber
Was lange abstrakt schien, wird zunehmend spürbar und dominiert allmählich auch die politische Diskussion: Schon seit vielen Jahren, ja Jahrzehnten, wird vor den Folgen des demografischen Wandels gewarnt. Nun haben wir es wieder einmal schwarz auf weiß bekommen: Deutschland altert nicht nur, sondern hat laut dem gestern herausgebrachten Statistischen Jahrbuch sogar die älteste Bevölkerung Europas. Diese Entwicklungen lässt sich kaum umkehren, weshalb es an der Zeit ist, den demografischen Wandel endlich zu gestalten anstatt ihn einfach nur geschehen zu lassen und sich über die Folgen zu beschweren. Auf politischer Ebene ist bis dato nur wenig passiert, was dieser "größten Veränderung des gesellschaftlichen Lebens neben der Globalisierung", wie es Kanzlerin Angela Merkel nennt, entsprechen würde. Die Bundesregierung hat zwar eine Demografiestrategie herausgegeben, die mit dem Titel "Jedes Alter zählt" den richtigen Ansatz wählt, über eine Ansammlung von Einzelmaßnahmen aber nicht hinausgeht. In der vergangenen Woche hat dann ein Demografiegipfel stattgefunden. Dabei haben Merkel und Arbeitsministerin von der Leyen verkündet, dass für sie der Schlüssel für die Bewältigung der Folgen des demografischen Wandels in der stärkeren Zuwanderung liegt. Außerdem sollen Frauen und bereits in Deutschland lebenden Migranten für den Arbeitsmarkt aktiviert werden. Das aber reicht noch lange nicht. Nötig ist eine Strategie, die alle Teilbereiche des gesellschaftlichen Lebens durchdringt - und dann auch umgesetzt wird. Zuallererst darf eine Gesellschaft, die mit dem demografischen Wandel zurecht kommen möchte, ältere Menschen nicht als Problemgeneration abstempeln. Viel zu häufig taucht immer dann, wenn vom demografischen Wandel die Rede ist, der Begriff der "Überalterung" auf - ein Begriff, der in eine völlig falsche Richtung geht und die Arroganz des ewigen Jugendwahns offenbart. Dabei bieten Senioren ein riesiges Potenzial. Als Arbeitskräfte zum Beispiel. Denn die Menschen werden nicht nur immer älter, sondern bleiben auch immer länger gesund und sehen häufig gar nicht ein, dass ihr Arbeitsleben mit dem Eintritt in das Rentenalter abrupt endet. Senioren, die arbeiten möchten, sollten dies auch problemlos tun können - weshalb flexible Übergänge von Berufsleben und Rentenalter etabliert werden müssen. Ein festes Renteneintrittsalter scheint völlig überkommen. Ältere Menschen können darüber hinaus Wissensvermittler sein, Menschen, die zum Beispiel auch in neuen Modellen des Zusammenlebens wie in Mehrgenerationenhäusern an Jüngere Lebenserfahrung weitergeben oder etwa Kinder betreuen können. Und im besten Fall Unterstützung erhalten, wenn sie auf Hilfe angewiesen sind. Denn: Wenn 2030 mehr als drei Millionen Menschen pflegebedürftig sind, wie es Berechnungen vorhersagen, muss es schon lange eine Selbstverständlichkeit sein, dass nicht nur Angehörige, sondern auch andere nahestehende Personen sich um die Pflege eines Menschen kümmern können, ohne dabei großartige Probleme bei der Vereinbarkeit mit dem Beruf zu haben. Hier muss die Politik endlich handeln und darf die Menschen nicht mit einer Pflegereform abspeisen, die ihren Namen nicht verdient. Und so wird die größte Veränderung in der Arbeitswelt stattfinden. Bis 2030 wird die Zahl der arbeitsfähigen Bevölkerung zwischen 20 und 64 Jahren um sechs Millionen zurückgehen. und der aufgrund des Fachkräftemangels heiß begehrte Arbeitnehmer neue Bedingungen vorfinden müssen. Eine Präsenzkultur, wie sie heute noch in den meisten Unternehmen selbstverständlich ist, wird nicht mehr haltbar sein, soll der Mensch berufstätig sein und gleichzeitig Kinder erziehen und sich um Pflegebedürftige kümmern. Manche Unternehmen sind sich dessen bewusst und bieten ihren Mitarbeitern schon heute flexible Arbeitszeiten, Heimarbeitsplätze, Betreuungsmöglichkeiten, Weiterbildung und Gesundheitsprävention an. Alle anderen werden bald zu spüren bekommen, dass der demografische Wandel mehr ist als eine abstrakte Diskussion.
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