Mittelbayerische Zeitung: Am Rand der Klippe
Regensburg (ots)
Von Christian Kucznierz
Die Weihnachtsfeiertage sind für viele eine Zeit der Rituale. Die meisten davon sind von der lieb gewonnenen Sorte. Für US-Präsident Barack Obama gibt es ein anderes Ritual, und es ist keines, das er gerne mag: Seit 2009 zwingt ihn jährlich ein Streitthema dazu, seinen Urlaub auf Hawaii zu unterbrechen und nach Washington zurückzukehren. So auch dieses Mal. Ganz offensichtlich leiden die Republikaner an einer besonderen Form des Gedächtnisverlusts. Vor nicht einmal zwei Monaten haben sie eine erneute Niederlage im Rennen um das Weiße Haus eingefahren. Ihr Kandidat Mitt Romney hatte angekündigt, in Zukunft wieder dafür zu werben, über die Parteigrenzen hinweg Politik zu machen. Beides, die Wahlschlappe und die Handreichung, sind so schnell vergessen wie der Kandidat selbst. Im Kongress haben die Republikaner wieder auf ihren Lieblingsmodus geschaltet: Fundamentalopposition. Dabei geht es dieses Mal um viel: Sollten sich beide Seiten, Demokraten und Republikaner, nicht bis Jahresende auf ein umfassendes Sparprogramm zum Schuldenabbau einigen können, treten automatische Sparmaßnahmen in Kraft. Die belaufen sich auf über 600 Milliarden Dollar. Es gilt, nicht von dieser "Fiskalklippe" zu stürzen - aber in Washington scheint man fast schon Freude am Tanz am Abgrund zu haben, zumindest, wenn man Republikaner ist. Dabei haben sie selbst diese Fikal-klippe mit ins Leben gerufen. Als vor einem Jahr das "Super-Kommitte", das aus Vertretern beider Parteien bestand, im Streit um Sparmaßnahmen keine Lösung fand, vertagte man diese einfach bis zum 1. Januar 2013 - in der Hoffnung, dass der Zeitdruck es schon richten wird. Ein frommer Wunsch. Vor allem deswegen, weil "Kompromiss" aus dem Wortschatz der konservativen Hardliner gestrichen ist. Am deutlichsten hatte sich dies in der Woche vor Weihnachten gezeigt. Der republikanische Sprecher des Repräsentantenhauses, John Boehner, hatte sich geneigt gezeigt, dem Vorschlag Obamas zuzustimmen, Steuererhöhungen nur für die Einkommensmillionäre einzuführen. Er hatte die Rechnung ohne seine Partei gemacht; Steuererhöhungen jedweder Art sind mit den Ultrakonservativen nicht zu machen. Diese Betonköpfigkeit könnte am Ende dazu führen könnte, dass am 1. Januar nun Steuererhöhungen für alle Amerikaner automatisch in Kraft treten - also genau das eintritt, wogegen die Republikaner im Wahlkampf zu Felde gezogen sind. Diese Eigentümlichkeit ist ebenso dem politischen Gedächtnisverlust der Partei zuzuschreiben wie der Umstand, dass ihre Haltung zu automatischen Kürzungen im Militärbudget führen wird; auch das war eine No-Go-Zone im Wahlkampf. Dabei können die Republikaner nur immer weiter verlieren: Jüngste Umfragen zeigen nicht nur, dass sie generell an Zuspruch in der Bevölkerung eingebüßt haben. Sie zeigen auch, dass die Amerikaner das Agieren der Partei im Steuerstreit falsch finden, während sie zufrieden damit sind, wie der Präsident mit der Situation umgeht. Nur: Sich zurücklehnen und schadenfroh darauf zu warten, dass die Republikaner an ihrer eigenen Sturheit scheitern, wird teuer. Für 25 Millionen Amerikaner bedeutet der Sturz über die Klippe, durchschnittlich 1000 Dollar im Jahr weniger im Geldbeutel zu haben. Die US-Wirtschaft, so fürchten Experten, droht in der Folge in die nächste Rezession schlittern - mit fatalen Folgen für die Weltwirtschaft. Es ist vor allem dieses Szenario, dass auch die Hardliner am Ende dazu bringen wird, das Wort Kompromiss wiederzuentdecken - zumindest für den Moment. Obama wird sich aber darauf einstellen müssen, seine Urlaube auch im kommenden Jahr eher flexibel zu gestalten.
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