Mittelbayerische Zeitung: Gysi, Gerichte und Gerüchte - Der Spitzenkandidat der Linken muss sich neuer Stasi-Vorwürfe erwehren. Das könnte ihm sogar nutzen. Von Reinhard Zweigler
Regensburg (ots)
Eigentlich wollte Gregor Gysi, der Linken-Spitzenkandidat zur Bundestagswahl, heute in Jacking bei Passau der politischen Konkurrenz so richtig einheizen. Doch Pustekuchen. Der Medienstar seiner Partei liegt nach einem Skiunfall mit gebrochener Schulter im Krankenhaus. Noch mehr Sorgen allerdings dürften ihm die neuen Ermittlungen der Hamburger Staatsanwaltschaft machen. Der Vorwurf lautet auf falsche eidesstattliche Versicherung. Und sollte es wirklich zu einer Anklage und einem Gerichtsverfahren kommen, drohen dem flotten Redner sogar bis zu drei Jahre Haft. Die politische Karriere des eloquenten Anwalts wäre dann ganz sicher zu Ende - und seine Partei verlöre ihr bestes Zugpferd, in Ost wie in West. Dabei ist es bereits eine unendliche Geschichte, Gysi und die DDR-Geheimpolizei Staatssicherheit, kurz Stasi genannt. Es ranken sich Gerüchte um Gerüchte, Vermutungen um Vermutungen, es existieren Tausende Aktenseiten. Und vor allem gibt es bereits Dutzende Urteile von bundesdeutschen Gerichten. Fast alle hat der schillernde Berliner Anwalt gewonnen. Doch dieses Mal ist es besonders schwierig, denn es geht um eine Versicherung Gysis aus dem Jahre 2011, wonach er angab, nicht "wissentlich und willentlich" dem einstigen Ost-Berliner Spitzelministerium über Mandanten berichtet zu haben. Damit hat er sich auf dünnes Eis begeben. Freilich ist der Fall Gysi nicht nur juristisch, sondern vor allem politisch brisant. Regelmäßig vor Wahlen tauchen neue Vorwürfe auf, die mit Gysis DDR-Vergangenheit zu tun haben. Der Linken-Fraktionschef bestreitet vehement, frühere Mandanten, die vor allem aus DDR-Oppositionskreisen stammten, an die Stasi verraten zu haben. Dienstliche Kontakte zur Stasi allerdings räumte er ein. Mit konstanter Regelmäßigkeit überzieht Gysi Kritiker aus Politik und Medien mit Klagen. Manchen Politiker oder Journalisten befällt im Fall Gysi nachgerade eine Art "Beißhemmung". Man fürchtet sich, in den folgenden juristischen Scharmützeln zu unterliegen, und wohl auch viel Geld zu verlieren. Allerdings darf das kein Grund sein, sich nicht mit der politischen und anwaltlichen Vergangenheit des bekannten Linken auseinanderzusetzen, bohrende Fragen zu stellen, zu recherchieren und in Akten zu forschen. Was bei Annette Schavan, Christian Wulff oder Karl-Theodor zu Guttenberg opportun war, muss auch für den Exponenten der Linken gelten. Eine "Hexenjagd", wie die Spitze der Linkspartei nun glauben machen will, ist das noch lange nicht, sondern normales rechtsstaatliches Geschäft. Gysi ist weder ein Heiliger, noch sollte er unter Generalverdacht gestellt werden. Auf der anderen Seite freilich kommen die Vorwürfe gegen den bekannten Linkspolitiker gar nicht so ungelegen. So oder so nicht. In der Linken selbst, die aus einem westdeutschen Landesparlament nach dem anderen fliegt und nach Lage der Dinge es im Herbst auch nicht ins Münchner Maximilianeum schaffen wird, wirken die Attacken gegen Gysi eher solidarisierend. Man rückt in Wagenburgmentalität zusammen, will sich den Spitzenmann nicht vom politischen Gegner und irgendwelchen Schreiberlingen kaputtmachen lassen. Und sogar die Konservativen könnten ein Interesse an den Angriffen auf Gysi haben. Wenn die Linke damit gestärkt würde und mit einem satten Ergebnis in den nächsten Bundestag einzöge, schadete das Rot und Grün. Es ist vertrackt, vielleicht so wie die Vergangenheit von Gysi. Der hat vor Jahren übrigens auch eine Dissertation verfasst.
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