Mittelbayerische Zeitung: Tradition und Wahlkrampf Leitartikel von Christian Kucznierz
Regensburg (ots)
Für den Ehrenvorsitzenden der CSU ist die Sache klar: Der politische Aschermittwoch hat nichts mit Folklore zu tun, sondern ist zugespitzte politische Auseinandersetzung, sagt Edmund Stoiber. Diese Behauptung klingt zunächst ebenso schräg, als wenn jemand sagte: Die Lederhose ist in Bayern ein Importartikel. Wer aber weiß, dass die Krachlederne oft genug in Asien produziert wird, sollte über Stoibers Satz nachdenken. Der politische Aschermittwoch, den die CSU als "größten Stammtisch der Welt" bezeichnet, ist freilich folkloristisch, die Stunde der groben Klötze und stumpfen Keile: Laut, krachig, manchmal ein wenig dumpf. Aber zumindest hat dieser Tag einen Vorteil: Im Vergleich zum aufziehenden Wahlkampf hat er wenigstens einen unterhaltenden Faktor. Denn wer sich gestern einmal die Mühe gemacht hat, zwischen den Zeilen zu lesen, der hat leider nur Altbekanntes gefunden, vielleicht neu aufgewärmt, aber doch so schal, dass nur der Geruch der Fischsemmeln verhindert hat, dass es einem sofort in die Nase gestiegen wäre. Es ist die alte Leier vom Kampf gegen den Sozialismus und das Betonen der Traditionen auf der Seite der Konservativen versus dem Hohelied der sozialen Gerechtigkeit und des "Zeit, das sich was dreht" aufseiten von SPD und Grünen. Wobei die Union hier einen entscheidenden Vorteil hat: Wollen die Bürger denn, dass sich etwas ändert? Und wenn: In welche Richtung? Es ist doch so: Deutschland steht inmitten allerorts herrschender Krisen als Fels in der Brandung da. Und welche Person die Wähler mit diesem Umstand in Verbindung bringen, wird jedes Mal klar, wenn die beliebteste Politikerin gekürt wird: Es ist Angela Merkel. Die Kanzlerin steht für Stabilität, Erfolg, Vertrauen. Und mit ihr die Union insgesamt. Kein Wunder, dass CSU-Chef Horst Seehofer gerne im Beiboot der CDU-Chefin sitzt. Ihr Erfolg im Bund strahlt auf seine Partei mit ab. Und Seehofers CSU hat gestern eindeutig unter Beweis gestellt, dass sie ebenfalls gelernt hat, auf Tradition und Erfahrung zu setzen: In fast schon alberner Manier hämmerten Seehofers Truppen dem Publikum die Dreieinigkeit aus Franz Josef Strauß, Edmund Stoiber und dem aktuellen Ministerpräsidenten und Parteichef ein. Dieses Triumvirat habe dafür gesorgt hat, dass der Freistaat von allem linken Unbill bewahrt blieb und das wurde, was er heute ist. Die SPD kann dagegen nicht konkurrieren. Kein Wunder, dass sie damit begonnen hat, Negativwerbung für den politischen Gegner zu machen. Ob das Modell "Drehhofer", mit dem die Prinzipienlosigkeit der Seehofer-CSU angeprangert werden soll, ein Erfolgsmodell wird, muss bezweifelt werden. Immerhin haben es die bayerischen Sozialdemokraten geschafft, die Christsozialen nervös zu machen. Bester Beweis dafür sind die abfälligen Bemerkungen Seehofers über die Kampagne. Bloß dürfte das alles einen Umstand nicht ändern: Die direkte, echte politische Auseinandersetzung fehlt. Sie findet nur in Surrogaten wie dem politischen Aschermittwoch oder den abendlichen Politik-Talkshows statt, in denen nichts gesagt wird, was nicht schon mindestens einmal gesagt oder geschrieben worden ist, allerdings nicht von jedem. Das Fehlen der inhaltlichen politischen Debatte mag vonseiten der Unionsparteien sogar gewollt sein, hat die Wahl 2009 doch gezeigt, dass bei einem Einschläferungswahlkampf die Konservativen eher Chancen auf den Sieg haben. Im Interesse der politischen Meinungsbildung aber ist diese Art der Wahlkampfführung nicht. Dabei hat der gestrige politische Aschermittwoch gezeigt, dass sehr wohl das Potenzial für ein spannendes Wahljahr besteht: Sowohl bei der SPD als auch bei der CSU herrschte volles Haus. Es gilt, hieraus die richtige Schlussfolgerung zu ziehen: Polemisieren mag nicht mehr Sache der heutigen Generation von Politikern sein. Aber die Zuspitzung der politischen Auseinandersetzung ist das Einzige, was uns vor einem weiteren Wahlkrampf retten kann.
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