Mittelbayerische Zeitung: Weggeblasen - Deutschland schickt zum ESC eine Popnummer mit Plagiatsverdacht, weil eine Jury zweifelhaft abstimmt. Von Isolde Stöcker-Gietl
Regensburg (ots)
Ein Synthie-Popsong, so einfallsreich einfallslos, dass er glatt wie der Siegertitel des Eurovision Song Contest (ESC) aus dem letzten Jahr klingt, das ist also unser Song für Malmö. Cascada hat den deutschen Vorentscheid gewonnen. Die Kritik, die deshalb seit Donnerstagnacht das Internet durchzieht, zeigt, wie wenig nah der Liederwettbewerb noch am Publikum ist. Ganz Radio-Deutschland stimmt für LaBrassBanda, mit zehn Punkten holt die Band aus dem Chiemgau auch die zweithöchste Punktzahl bei den Fernsehzuschauern, doch am Ende reicht es nicht, weil eine Jury lieber Playback vom Band hört, als live gespielte Blasmusik. Der ESC hat in Deutschland einen neuen Tiefpunkt erreicht und steht nun wieder dort, wo er vor der Ära Stefan Raab stand. Das zeigte sich auch bei den Zuschauerzahlen. Mit 3,24 Millionen vor dem Fernseher und 10,4 Prozent Marktanteil lag die von Anke Engelke moderierte Sendung sogar unter dem ARD-Normalniveau. Auch musikalisch gab es nur wenige Höhepunkte. Spannend war eigentlich nur die Wertung und der Sturm der Entrüstung, der danach entfachte. Mag sein, dass fünf barfüßige, bayerisch singende Männer in Lederhosen in Schweden nicht gewonnen hätten. Aber wie die russischen Babuschkas im vergangenen Jahr, hätten sie für Farbe gesorgt und für Originalität. Es ehrt LaBrassBanda, dass sie die Entscheidung sportlich nehmen, doch wer sich wirklich für Musik interessiert, der kann darüber nur den Kopf schütteln. Eine Band, die ihre Songs selbst schreibt, die diese live auf der Bühne vorträgt und dabei ganz nah am Publikum ist, erhält von einer angeblichen Fachjury dafür keine Anerkennung. Wenn es nicht auf Können ankommt, dann ist ein nationaler Wettbewerb überflüssig. Man hätte einen alten DSDS-Gewinner oder X-Faktor-Teilnehmer ausgraben können oder gleich eines von Klums Topmodeln. Mit viel Synthesizer-Sound lassen sich auch stimmliche Schwächen übertünchen. Der Eindruck entsteht, die Kunst des ESC besteht darin, künstlich zu sein. Allerdings muss man Cascada nach diesem unglücklich verlaufenen Abend auch ein bisschen in Schutz nehmen. Mit ihrem Dance-Pop haben sie weltweit bereits 30 Millionen Platten verkauft. Ihre Single "Everytime We Touch" schaffte es auf Platz 2 in den britischen Charts - und immerhin bis auf Platz 67 in den US-Charts. Sie haben den World Music Award und den Comet gewonnen. Das zeugt von einem Gefühl für Trends. Doch das hat sie - oder genau genommen ihre Berater - bei der Songauswahl für den ESC verlassen. Dass "Glorious" dem Siegertitel "Euphoria" aus dem vergangenen Jahr schon sehr nahe kommt, hört sogar der Laie. Aber vielleicht war auch genau das der Grund, warum man die plagiatsverdächtige Nummer ins Rennen geschickt hat? Nun ist es, wie es ist. Und auch die über 6000 LaBrassBanda-Fans die sich bis Freitagnachmittag auf Facebook für eine neue Abstimmung ausgesprochen haben, werden daran nichts mehr ändern - sofern sich seltsame Zufälligkeiten nicht doch noch als Schiebereien entpuppen. Denn es gibt eine Sache, für die sich die ARD als deutscher Ausrichter gute Argumente überlegen muss: Vier der fünf ESC-Jurymitglieder arbeiten mit der Plattenfirma Universal zusammen wie auch die Siegerin Cascada. Diese Plattenfirma brachte 2012 auch den Sampler zum ESC-Entscheid auf den Markt. LaBrassBanda steht aber neuerdings bei Sony unter Vertrag. Musste die Jury etwa die Notbremse ziehen?
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