Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel von Reinhard Zweigler zum Putin-Besuch
Regensburg (ots)
Von Damen, die mit nackter Haut gegen den "Diktator Putin" demonstrierten, hat sich Russlands Präsident gestern in Hannover ebenso wenig beeindrucken lassen wie von den kritischen Worten der deutschen Kanzlerin. Angela Merkel hat dem Gast aus Moskau höflich, aber bestimmt Vorhaltungen gemacht. Dass die russischen Behörden ohne Gerichtsbeschluss Büros und Computer von Nichtregierungsorganisationen durchsuchen und deren Mitarbeiter als "Agenten" des Auslands registrieren, ist in einem demokratischen Rechtsstaat nicht hinnehmbar. Diese Kritik war notwendig und ebenso angebracht. Trotz und gerade, weil Russland als Handelspartner sowie auf der internationalen Bühne gefragt ist. Allerdings ist Russland, das sich immer noch als eine Art Supermacht sieht, keine "lupenreine Demokratie". Putin, den eine offenbar unverbrüchliche Männerfreundschaft mit Ex-Kanzler Gerhard Schröder verbindet, sieht sein Land eher als eine "gelenkte Demokratie". Was gut und richtig für das Land ist, bestimmen er und die Nomenklatura. Die Opposition, die in Russland kaum entwickelt ist, wird verhöhnt, verfolgt, verurteilt. Als der einstige Oligarch und Öl-Konzernchef Michail Chodorkowski ernsthaft nach einer politischen Karriere - gegen Putin - strebte, ließ ihn der Kremlchef mit Hilfe einer willfährigen Justiz und weit auslegbarer Gesetze zu einer lange Freiheitsstrafe verdonnern. Was wohl vor allem als Signal an die anderen Oligarchen gedacht war, die die russische Industrie beherrschen, sich nicht mit dem Kreml anzulegen. Kann man nun aber mit einem "Diktator light", kann man mit Putins Russland wirtschaftliche Beziehungen unterhalten? Aber natürlich, man muss es sogar. Zum beiderseitigen Nutzen, wie man es selbst in den kältesten Zeiten des Kalten Krieges getan hat. Es gilt das mühsame Prinzip des Wandels durch Handel. Russland ist nicht nur ein riesiger Rohstofflieferant für Deutschland - Gas, Öl und anderes, sondern auch ein großer Absatzmarkt für deutsche Maschinen, Lebensmittel, Luxusgüter. Deutschland und der Westen insgesamt werden Demokratie und Menschenrechte, so wie wir sie verstehen und praktizieren, nicht eins zu eins in das russische Riesenreich exportieren können. Das muss im Post-Sowjetstaat Stück für Stück von unten wachsen. Ein Geflecht von wirtschaftlichen Beziehungen zwischen deutschen und russischen Unternehmen jedoch, Kooperationen sowie der Austausch von Wissen, können demokratischen Entwicklungen den Boden bereiten. Das beiderseitige Potenzial aber ist noch lange nicht ausgeschöpft. Russlands Wirtschaft braucht dringend moderne Technologien, auch unternehmerisches Know-how aus dem Westen. Russland bietet auf der anderen Seite gigantische Möglichkeiten, unermessliche Bodenschätze, flexible und freundliche Menschen. Allerdings drücken eine weit verbreitete Korruption und eine schwerfällige Bürokratie die Waagschale wieder nach unten. Auch auf internationalem Terrain, in Sicherheits-, Abrüstungs- oder Umweltfragen etwa, muss der Westen Moskau und Putin mit ins Kalkül ziehen. Russland ist zwar keine Supermacht mehr, aber es verfügt dennoch über enormen Einfluss. Im Syrien-Konflikt, wo Putin eisern an Diktator Assad festhält, ist das schmerzvoll zu verspüren. Wer mit Moskau klar kommen will, muss den Spagat beherrschen.
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