Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel von Reinhard Zweigler zu SPD/Steinbrück
Regensburg (ots)
Jim Knopf, einer der Helden der Augsburger Puppenkiste, trifft bei der Suche nach Prinzessin Li Si auf den Scheinriesen Tur Tur. Auf dem SPD-Sonderparteitag in der bayerischen Schwabenmetropole hat der bislang von Pleiten, Pech und Pannen verfolgte Kanzlerkandidat Peer Steinbrück gestern Angela Merkel kurzerhand zur Scheinriesin erklärt. Wenn man die schier übermächtige Konkurrentin zur bloßen Anschein-Erweckerin herunterredet, ist die Schlacht um das Kanzleramt nicht mehr ganz so aussichtslos. Freilich jedoch ist die Kanzlerin nicht nur in der Union unumstritten, sondern sie genießt auch einen riesigen Vertrauensbonus in der gesamten Bevölkerung. Merkel ist trotz oder gerade wegen ihres präsidialen, zuweilen zaudernden Führungsstils Deutschlands und Europas politische Riesin. Mancher ihrer Kontrahenten wirkt da gegen die Ostdeutsche geradezu zwergenhaft. Die deutschen Wähler entscheiden sich in unsicheren Zeiten mehrheitlich für die Vertraute, das Bewährte, weniger für das Experiment mit ungewissem Ausgang. Der in der Kanzlerfrage schier aussichtslos zurückliegende Steinbrück hat gestern allerdings mit einer klugen, nah an den Sorgen und Nöten der Menschen orientierten Rede zumindest dafür gesorgt, dass Merkels Schatten nicht mehr ganz so groß ausfällt. Auf Augenhöhe mit Merkel ist der eloquente, bisweilen selbstverliebte Schnellredner und Ex-Finanzminister damit freilich noch nicht. Es wird aus seiner Sicht auch darauf ankommen, Merkels wolkigen Wahlkampf zu entschleiern. Das Wir entscheidet, haben Steinbrücks Berater zum Wahlkampfslogan auserkoren. Wenn der SPD-Mann wirklich noch die Spur einer Chance auf das Kanzleramt eröffnen will, dann werden er und seine Partei in den nächsten fünf Monaten noch viel genauer ihr Programm sozialer Gerechtigkeit durchbuchstabieren müssen. Eine Wechselstimmung wie etwa 1998 gibt es zurzeit nämlich nicht. Und Rot-Grün hat eingedenk der siebenjährigen, äußerst durchwachsenen Regierungszeit seine Zauber längst eingebüßt. Augsburg war insofern auch so etwas wie ein neues rot-grünes Versprechen. Diesmal nur soll es besser werden. Man wird sehen. Allerdings ist trotz Kanzlerinnen-Bonus der Euro-Retterin Merkel die nächste Bundestagswahl noch längst nicht entschieden. Das gilt auch für die nicht minder spannenden Landtagswahlen in Bayern und Hessen eine Woche vor der bundesweiten Wahl am 22. September. Die christlich-liberalen Bündnisse stehen in München, Wiesbaden und Berlin auf dem Spiel. Auch weil sich Rot-Grün hier und Schwarz-Gelb da in vielen Positionen - von der Steuer-, der Familien- bis zur Euro-Rettungspolitik - nahezu diametral unterscheiden, steht ein harter Wahlkampf bevor. Gut so. Der Vorhalt, es sei doch alles eine Sauce, was die Parteien anböten, zieht nicht. Vieles ist zudem im Wahlvolk selbst, dem Souverän, im Fluss. Das trifft auch auf das keinesfalls festgefügte konservative Lager zu. Mit Freien Wählern und seit diesem Wochenende auch der Alternative für Deutschland versuchen gleich zwei Euro-kritische Parteien aus antieuropäischen Stimmungen Stimmen zu machen. Auch die neuen selbst ernannten Anti-Europa-Propheten könnten an Merkels Dominanz kratzen. CDU, CSU, aber auch die Liberalen müssen zunehmend Rücksicht auf die Euro-Skeptiker nehmen. Wenn die der alles dominierenden Kanzlerin nur ein paar Prozentpunkte abjagen können, wäre es aus mit der schwarz-gelben Herrlichkeit. Der "Jim Knopf der SPD", Peer Steinbrück, wird in diese offene Flanke des Merkel-Lagers genüsslich hineinstoßen.
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