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Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zu 70 Jahre Aufstand im Warschauer Ghetto: "Hand in Hand auf dünnem Eis"

Regensburg (ots)

Bilder sagen bekanntlich meist mehr als tausend Worte. Man denke an Willy Brandts Kniefall vor dem Warschauer Mahnmal der Ghetto-Helden im Jahr 1970. Der deutsche Kanzler sank unter der Last der Geschichte nieder. Er verneigte sich vor den jüdischen und polnischen Opfern der nationalsozialistischen Terrorherrschaft. Das war die Botschaft jenes Bildes, das um die Welt ging. Ob geplant oder spontan: Der Kniefall war eine grandiose Versöhnungsgeste. Heute, 70 Jahre nach dem Aufstand im Ghetto, mehr als vier Jahrzehnte nach Brandts Auftritt in Warschau und fast 25 Jahre nach den friedlichen Revolutionen von 1989, geistert ein anderes Bild durch die Gazetten. Es zeigt Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Kleidung eines KZ-Häftlings. Das rechtskonservative polnische Magazin "Uwa?am rze" hat die geschmacklose Illustration auf ihrer Titelseite gedruckt, um die Aufmerksamkeit der Leser und Käufer auf eine Analyse der deutschen Geschichtsaufarbeitung seit dem Weltkrieg zu lenken. Auslöser für den Affront waren ebenfalls Bilder: jene Szenen in der ZDF-Kriegstrilogie "Unsere Mütter, unsere Väter", die Kämpfer der polnischen Partisanen als Judenhasser zeigen. Auch diese bewegten Bilder waren ein Affront, wenn auch womöglich ungewollt. Es war fahrlässig und historisch falsch, die polnische Untergrundarmee AK einseitig als einen Hort des Antisemitismus darzustellen. Die Empörung darüber in Polen war ebenso groß wie berechtigt. Der Streit rechtfertigt allerdings nicht die Merkel-Darstellung als KZ-Kanzlerin. Und so stellen sich an diesen Gedenktagen, die eigentlich den Helden und Opfern des Warschauer Ghetto-Aufstandes gewidmet sein sollten, alte Fragen mit neuer Brisanz: Ist die oft gerühmte Versöhnung zwischen Deutschen und Polen wirklich gelungen? Und wie steht es um das Dreiecksverhältnis zwischen den deutschen Tätern, den jüdischen Opfern und den polnischen Opfer-Tätern? Historisch unstrittig ist, dass die Wehrmacht Polen mit Panzern niederwalzte. Die Nazis ermordeten die Elite des Landes gezielt. Mehr als fünf Millionen Polen starben in dem Vernichtungskrieg. Unstrittig ist der Holocaust, in dem die Nazis das Leben von sechs Millionen Juden auslöschten. Unstrittig ist, dass viele Polen unter Einsatz ihrer Existenz den bedrohten Juden halfen und sie retteten. Ein Viertel der Personen, die in der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem als Gerechte unter den Völkern geehrt werden, waren Polen. Es gibt aber auch Gewissheit darüber, dass Polen als Nazi-Kollaborateure selbst Jagd auf Juden machten, mitunter ohne deutsche Hilfe. Einschlägig sind die Berichte über das Massaker von Jedwabne im Juli 1941, als polnische Bürger der Kleinstadt mehrere Hundert ihrer jüdischen Nachbarn ermordeten. Während des Aufstandes im Warschauer Ghetto blieben die meisten Polen in der Stadt unbeteiligt. AK-Partisanen verkauften den eingemauerten Juden zwar Waffen, aber nur für horrende Geldsummen. Zugegeben: Sie brauchten die Pistolen und Gewehre selbst. Aber hätte nicht der Feind des Feindes vor allem Freund und Kampfgefährte sein sollen? Man darf diese Frage auch als Deutscher stellen, aber man kann es auch lassen. Besser ist es in jedem Fall, wenn die Polen sich den Spiegel selbst vorhalten. Und das tun sie seit Jahren. Deshalb auch war es ein verheerender Fehltritt der ZDF-Filmemacher, die Geschichte der AK derart verkürzt und unreflektiert zu schildern. Nun soll es einen gesonderten Film über die polnischen Partisanen geben. Das Kind aber liegt zunächst einmal im Brunnen. Rechtspopulisten wie die Macher des Magazins "Uwa?am rze" frohlocken. All dies belegt vor allem eines: Die Aussöhnung zwischen Deutschen, Polen und Juden ist weit fortgeschritten, aber die Völker wandeln Hand in Hand auf dünnem Eis. Es bedarf weiterer geduldiger Arbeit an den Fundamenten, um darauf eine gemeinsame Zukunft bauen zu können. Politiker, Historiker und Filmemacher, aber auch wir Journalisten sollten dies stets bedenken. Autor: Ulrich Krökel

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