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Mittelbayerische Zeitung: Kampf- und Wandertag: Der 1. Mai wurde von Arbeitern einst hart erkämpft. Der Mythos dahinter ist so aktuell wie lange nicht. Von Reinhard Zweigler

Regensburg (ots)

Im Jahre 1886 rief die nordamerikanische Arbeiterbewegung am 1. Mai zum Generalstreik für die Durchsetzung des Achtstundentages auf. Vorausgegangen war ein Streik in einer Chicagoer Fabrik gegen den Hungerlohn von drei Dollar für zwölf Stunden Schufterei. Bereits vier Jahre später wurde der erste Maitag weltweit zum Protest- und Gedenktag der Arbeiterschaft. Zur wechselvollen Geschichte des Kampf-Mais gehört auch die blutige Zerschlagung, das Verbot der Gewerkschaften und die Stürmung der Gewerkschaftshäuser vor 80 Jahren durch die Nationalsozialisten in Deutschland. Der 1. Mai wurde kurzerhand zum "Nationalen Feiertag des deutschen Volkes" unter dem Hakenkreuz deklariert. Dass Neonazis auch in diesem Jahr wieder versuchen, den Tag der Arbeit für ihre menschenverachtende, rassistische Ideologie zu okkupieren, ist widerlich. Dies sollte den Widerstand der Demokraten in unserem Land herausfordern. Der 1. Mai 2013 freilich wird unter ganz anderen als den historischen Vorzeichen begangen. Im Kern geht es auf den Kundgebungen und Demonstrationen der Gewerkschaften allerdings wie vor über 100 Jahren um mehr Gerechtigkeit für Arbeitnehmer, um einen sinnvollen Ausgleich zwischen Kapital und Arbeit, um mehr Teilhabe und Mitbestimmung in der heutigen Arbeitswelt, um Bildung und Ausbildung, um bessere Arbeitsbedingungen und angemessene Löhne. In München und in anderen Städten wird heuer für "Gute Arbeit, Sichere Renten. Soziales Europa" auf Straßen und Plätze gegangen. Es werden vermutlich nicht Hunderttausende oder gar Millionen sein, die demonstrieren. Und in den Nachrichten dürften die Forderungen der Gewerkschafter nicht unbedingt die Spitzenplätze einnehmen. Für Millionen Beschäftigte ist der 1. Mai auch einfach ein freier Tag, an dem man wandert oder in den Biergarten geht. Der 1. Mai ein Kampf- und Wandertag - auch gut. In diesem Jahr bekommen die Losungen und Forderungen der Gewerkschaften insofern größere Brisanz, weil wichtige Wahlen anstehen, weil die Euro-Krise längst nicht ausgestanden ist oder weil sich viele Menschen über Steuerbetrüger echauffieren. Es ist viel in Bewegung, es wird viel diskutiert. Und die Stimme der Gewerkschaften gehört in den Chor unserer Gesellschaft. Sie war in den letzten Jahren etwas ruhiger geworden. Zu ruhig vielleicht. 2013 könnte zum Jahr des Mindestlohnes in Deutschland werden, hoffen zumindest die Michael Sommer und Co. von den Gewerkschaften. Nachdem die Gewerkschaften den ersten Vorstößen für einen flächendeckenden Mindestlohn vor rund acht Jahren noch ziemlich reserviert gegenüberstanden, wie SPD und Grüne übrigens auch, ist dies heute die Kernforderung der Gewerkschaftsbewegung. Kaum weniger wichtig ist die Bekämpfung des Wildwuchses bei Leiharbeit und bei den prekären Arbeitsverhältnissen. Ist der gesellschaftliche Druck groß genug, bewegen sich auch die großen Parteien. Die Union macht unter der geschmeidigen Angela Merkel schon länger Lockerungsübungen. Verbindliche Lohnuntergrenzen, wie sie in immer mehr Branchen eingeführt werden, sind ein Schritt in die richtige Richtung. Selbst bei den Freidemokraten sind Absatzbewegungen zu erkennen. Sie stempeln den Mindestlohn zumindest nicht mehr als Teufelszeug ab. Die Liberalen sind fast die Einzigen, die sich noch gegen einen Mindestlohn stemmen. Vielleicht bringt aber bereits der FDP-Parteitag am Wochenende in Nürnberg weitere Bewegung. Auch das wird spannend, wenngleich der Mindestlohn nicht die alles entscheidende wirtschafts- und sozialpolitische Frage in Deutschland ist. Der Mythos 1. Mai mit roten Fahnen, roten Nelken und roten Sprüchen lebt.

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