Mittelbayerische Zeitung: Verraten und verkauft - Edward Snowden hat Unterstützung verdient, auch wenn das bedeutet, sich mit den USA anzulegen. Von Christian Kucznierz
Regensburg (ots)
Man liebt den Verrat, nicht den Verräter, lautet eine alte Weisheit. Sie hat nichts von ihrer Aktualität verloren. Während alle Staaten bis auf die USA froh sind, dass einer wie Edward Snowden schonungslos offengelegt hat, wie die Vereinigten Staaten selbst mit ihren engsten Verbündeten umgehen, ist es mit der Freude vorbei, wenn Snowden hilfesuchend vor ihrer Türe steht. Das ist so verständlich wie erbärmlich. Für Snowden war es von Anfang an unrealistisch, sich Hoffnung auf Asyl in Deutschland zu machen - nicht nur aus formalen Gründen. Der Ex-Geheimdienstmann ist kein Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention, weil er nicht wegen seiner Religion, Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe verfolgt wird; am ehesten würde passen, dass Snowdens politische Überzeugung ihn außer Landes getrieben hat. Aber eigentlich ist er auf der Flucht, weil er Geheimnisse verraten hat - nicht mehr, aber auch nicht weniger. Für diesen Verrat sind viele Staaten dankbar, allen voran Deutschland und die EU. Aber bereit, sich ihrerseits nun mit den USA anzulegen, werden sie nicht sein. Denn das müssten sie tun. Deutschland hat wie viele andere Staaten, in denen Snowden nun Unterschlupf suchen möchte, ein Auslieferungsabkommen mit den Vereinigten Staaten unterzeichnet. Die EU als Ganzes hat das auch getan. Käme Snowden also nach Europa, bliebe dem Land, das ihn aufnimmt, wohl nichts anderes übrig, als ihn den USA zu übergeben - oder aber die Abkommen zu ignorieren, was undenkbar ist. Die Folgen für die transatlantischen Beziehungen in diesem Fall wären unabsehbar. Allerdings: So belastet wie derzeit waren sie ohnehin schon lange nicht mehr. Da helfen keine freundschaftlichen Gesten vor der Kulisse des Brandenburger Tors oder freundliche Worte des US-Präsidenten: Die USA trauen ihren Partnern ganz offensichtlich alles zu - und machen, was ihnen selbst Kritiker kaum zugetraut haben: Sie spionieren ihre Freunde aus - und das nicht nur im Interesse der Sicherheit, sondern auch der eigenen Wirtschaft. Es gibt ganz offenbar eine dunkle Seite der Macht der USA, und Snowden hat sie offengelegt. Weil er vielen Staaten die Augen geöffnet hat, hat er deren Unterstützung verdient. Die aber bleibt aus. Es ist bezeichnend genug, dass er Zuflucht in Staaten wie China und Russland sucht und findet, die vieles sind, nur nicht bekannt für ihre Rechtsstaatlichkeit oder ihre Achtung der Meinungsfreiheit. Es ist ein Schlag ins Gesicht des Westens, dass ausgerechnet Wladimir Putin als erster Asyl angeboten hat. Snowden ist in den Augen der USA ein Schurke. In Europa gilt er manchen als Held. Beides ist falsch. Er hat Geheimnisse nicht an den Feind verraten, sondern an angebliche Freunde. Ja, er hat etwas Verbotenes getan. Aber er hat damit aufgedeckt, dass sein Land Dinge macht, die eines modernen Staates unwürdig sind. Das ist eine mutige Tat, für die er aber nicht verklärt werden sollte. Dafür weiß man auch viel zu wenig über ihn. In keinem Fall aber hat Snowden es verdient, jetzt verraten und verkauft zu werden. Deutschland und die Europäische Union hätten im Licht der jüngsten Enthüllungen jedes Recht, Edward Snowden zu helfen. Die USA haben keine Rücksicht auf deutsche oder europäische Befindlichkeiten oder Interessen genommen; warum sollten Berlin oder Brüssel Rücksicht auf amerikanische Befindlichkeiten nehmen? Die EU kann zwar kein sicherer Zufluchtsort für Snowden sein. Aber es steht in der Macht der Mitgliedsstaaten, ihm bei der Suche zu helfen. Diesen Mut sollten sie im Interesse der eigenen Glaubwürdigkeit beweisen.
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