Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel von Andreas Brey zu Doping
Regensburg (ots)
Diese Liste ist wie ein Sommergewitter, das sich nach einer quälend langen Hitzewelle urplötzlich entlädt. Der Bericht der Anti-Doping-Agentur des französischen Senats spült alte Helden von den Sockeln, auf die sie vor vielen Jahren - mit Hilfe leistungssteigernder Mittel - geklettert waren. Auch die erfolgreichsten deutschen Fahrer aller Zeiten, Jan Ullrich und Erik Zabel, stehen auf der Liste der Betrüger der Skandaltour von 1998. Zum Glück auch sie! Denn der Fall zeigt, dass sich niemand sicher sein kann. Selbst Volkshelden, selbst 15 Jahre später nicht. Die Beweise kommen zwar spät, jedoch nicht zu spät. Denn wer ein Problem lösen will, der muss sich zunächst eingestehen, dass es existiert. Die Omerta, das Gesetz des Schweigens, ist das heiligste aller ungeschriebenen Gesetze des Pelotons. So lange es noch gilt, so lange werden wir Zuschauer nie wissen, ob wir nicht doch betrogen werden. Leider! Und eben hier liegt der Hauptgrund dafür, dass der Radsport noch immer im Dopingsumpf steckt. Wer verstehen will, wie es so weit kommen konnte, dass eine ganze Sportart unter permanenten Generalverdacht gerät, muss jedoch viel weiter zurückblicken als bis zur Tour 1998. Denn die Dopingunkultur im Radsport ist fast so alt wie die 100-jährige Geschichte seines berühmtesten Rennens. Aufgrund der zum Teil unmenschlichen Belastungen greifen die Fahrer von Beginn an zu leistungssteigernden Mitteln. Kokain, Chloroform, Koffein und Alkohol werden in den 60er- und 70er-Jahren von Amphetaminen abgelöst. Hustenbonbons im Vergleich zu dem, was noch kommen wird. Obwohl die Etappen - vor allem bei den großen Rundfahrten durch Italien, Frankreich und Spanien - immer anspruchsvoller werden, erreicht das Feld ständig neue Rekordzeiten. Nur weil mit Cortison, Steroiden und Testosteron gedopt wird, ist das möglich. "Wir waren jung und unbekümmert", sagt der zweifache Tour-Sieger Laurent Fignon Jahre später. Auf dem Krankenbett - vom Krebs, für den er dann das jahrelange Doping verantwortlich macht, gezeichnet - gesteht Fignon die Einnahme verbotener Substanzen. Der Franzose bezahlt einen teuren Preis für seine vermeintliche Jugendsünde. Doch warum greift niemand ein? Weil der Sport von innen heraus verseucht ist. Ehemalige Fahrer, die vom Sattel in die Begleitfahrzeuge gewechselt sind, wollen ihr Stück vom Kuchen haben. Ohne den Belgier Johan Bruyneel, einen mit allen Wassern gewaschenen Ex-Profi, hätte es beispielsweise den siebenfachen Toursieger Lance Armstrong nie gegeben. Gemeinsam entwickelten sie das größte Sportbetrugssystem der Welt. Mittlerweile ist es aufgeflogen, der Supermann abgestürzt. Gerne würde ich deshalb den jungen Fahrern zurufen: "Denkt daran, dass es auch eine Zeit nach eurer Karriere geben wird. Es wäre tragisch, wenn ihr dann nichts habt, worauf ihr stolz zurück könnt!" Geld verdirbt bekanntlich den Charakter. In unserem Fall den Sportler. Radrennen sind einfach, das Prinzip archaisch. Das Wesen des Wettbewerbs besteht darin, vor den anderen das Ziel zu erreichen. Die Fans sind gefesselt von diesen Duellen - Mann gegen Mann. Gerade deshalb ist die Tour de France nach der Fußball-WM und den Olympischen Spielen das drittgrößte Sportereignis der Welt. Mehrere 100 Millionen TV-Zuschauer in 190 Ländern schauen Jahr für Jahr wieder zu - trotz des Damokles-Schwertes Doping, das über jeder Tour hängt. Sport ist Spektakel, befeuert durch neue, schier übermenschliche Leistungen. Zuschauer und Sponsoren trifft daher eine Mitschuld. Immer höher, schneller, weiter. Ein Problem, unter dem der gesamte Leistungssport leidet. Um ständig neue Rekorde zu produzieren, wird in den Dopingküchen fleißig gekocht. Egal ob Radfahrer, Schwimmer oder Leichtathlet - sie bedienen sich alle aus dem gleichen Angebot der Doping-Mafia. Auf Epo, das Wundermittel der 90er, folgt Eigenblutdoping. Für die neuen Designer-Steroide gibt es keinen Test. Genau aus diesem Grund hecheln die Doping-Kontrolleure vergeblich hinterher. Der aktuelle Fall zeigt, wie erschreckend weit. Es ist ein Teufelskreis, in dem sich der Leistungssport befindet. Durchbrochen könnte er nur durch ein breites Bündnis aus Sportlern, Funktionären, Sponsoren und letztendlich auch der Zuschauer werden. Wir alle müssten lernen, den Sport wieder als das zu lieben, was er eigentlich sein sollte. Ein fairer Wettstreit, bei dem am Ende der beste Athlet gewinnt. Angesichts der vielen Lügner, die der jüngste Dopingfall nun wieder entlarvt hat, fällt es jedoch schwer, daran zu glauben.
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