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Mittelbayerische Zeitung: Der Faktor Angst - Die SPD hat ihre letzte Chance auf einen Stimmungsumschwung präsentiert bekommen. Von Christian Kucznierz

Regensburg (ots)

Es gibt eine neue Komponente im Wahlkampf der Unionsparteien. Eigentlich war sie schon die ganze Zeit vorhanden, nur hat sie fast niemand bemerkt vor lauter kraftstrotzender Zuversicht, staatstragendem Verantwortungsbewusstsein und präsidialer Haltung. Aber nun ist sie da: die Angst. Sie hat sogar einen Namen: Griechenland. Es ist bezeichnend, dass die Koalitionsparteien die Erwähnung Griechenlands gemieden haben. Die Krise ist kein Top-Thema im laufenden Wahlkampf, und das obwohl eine kürzlich veröffentlichte Umfrage belegte, was eigentlich alle wussten: Die Bürger glauben sehr wohl, dass die Krise sie noch lange beschäftigen wird. Dass sie um ihr Erspartes fürchten, um ihre Altersversorgung. Und dass sie bemängeln, die Parteien würden diese Ängste nicht aufgreifen. Zumindest bislang nicht. Diese Woche war dann auf einmal alles anders. Fast zeitgleich haben Ex-SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder und CDU-Finanzminister Wolfgang Schäuble erkannt, dass es mit dem nach wie vor ungelösten Griechenlandthema einen hässlichen Fleck im Hochglanzwahlkampf der Union gibt. Schröder hat der Bundesregierung vorgeworfen, die Gefahr zu verschleiern. Das stimmt zwar nur so halb. Seitens der Bundesregierung ist nie ausgeschlossen worden, dass Athen weiteres Geld benötigen könnte. Man hat es nur nie so offen gesagt. Schäuble hat das jetzt getan, allerdings aus einem anderen Grund als Schröder. Der Finanzminister wollte den Patienten über die schmerzhafte Operation aufklären, Schröder, dass man dem Operateur misstraut. Das Ergebnis ist ein und dasselbe: Der Patient ist beunruhigt. Und genau das darf er in den Augen der Union nicht sein. Die CDU ist Angela Merkel, und traut man den Umfragen, so ist Angela Merkel für die Bürger gleichbedeutend mit Stabilität: Sie kennt sich in allen Bereichen aus. Sie denkt mehr, als sie redet, weswegen sie nie etwas Falsches sagt, aber im entscheidenden Moment das Richtige tut. Nur: Was, wenn diese Fassade bröckelt? Und das könnte geschehen, wenn Griechenland doch wieder Geld braucht. Hätten nicht plötzlich alle Recht, die Frau Doktor Merkels Rezepte gegen die europäische Krankheit als Scharlatanerie abgetan haben? Zumindest würde genau diese Frage gestellt werden. Und das gerade einmal vier Wochen vor der Wahl. Eine Katastrophe. Zumal auch keine Ablenkung in Sicht ist. Im Konrad-Adenauer-Haus wird man insgeheim froh gewesen sein über die Euro Hawk- und die NSA-Affäre, weil sie doch nur an der Oberfläche kratzten. Nun aber geht es ums Eingemachte, die Urängste der Deutschen: um den möglichen Verlust ihres Wohlstandes. Die Union hat versucht, das Feuer auszutreten. Und doch qualmt es noch über der Asche. Die SPD ist lange Zeit zu Recht belächelt worden. Der Start in den Wahlkampf war überstürzt. Das Programm passte nicht zum Kandidaten, der seine Beinfreiheit zu lange dafür nutze, um die Abstände von einem Fettnäpfchen zum anderen zu messen. Aber das heitere SPD-Bashing ist zu einer ungerechtfertigten Routine verkommen. Die SPD hat ein Programm, mit dem man sich durchaus auseinandersetzen könnte. Sie hat einen Spitzenkandidaten, der bei aller oft selbstverliebten Sturheit als Finanzminister bewiesen hat, dass er etwas kann und jetzt wirklich für seine Wahl kämpft. Steinbrück und seine Partei haben die vielleicht letzte Chance auf den Stimmungsumschwung präsentiert bekommen, an den lange Zeit nur sie selbst geglaubt haben. Schafft Steinbrück es, die Angst am Leben zu halten bis zum TV-Duell mit der Kanzlerin am 1. September, ist das Rennen offener, als lange gedacht.

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