Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel von Thomas Spang zu Obama
Regensburg (ots)
Der Supertanker USA schlingert seit der Wiederwahl Barack Obamas von einem Unwetter ins nächste. Erst das Massaker in der Grundschule von Newton, dann die Blamage durch NSA-"Whistleblower" Snowden, dicht gefolgt von dem Giftgasangriff in Syrien. Und jetzt der "Government Shutdown", der sehr bald in einen Staatsbankrott münden könnte. Das Staatsschiff hinterlässt den Eindruck, richtungslos auf hoher See herumzuirren. Wie ein Stück Treibholz, das irgendwann, irgendwo ankommt, aber nicht selber den Kurs bestimmt. Kritiker halten Obama vor, wenn es ungemütlich werde, verschwinde er stets unter Deck. Sein unterlegener Herausforderer bei den Präsidentschaftswahlen 2008 John McCain ätzte, Obamas "rote Linie" in Syrien sei offenbar mit selbstauflösender Tinte geschrieben worden. Dass er sich den Vergeltungsschlag für den Chemiewaffen-Angriff vom Kongress absegnen lassen wollte, sei nichts weiter als Führungsschwäche. In der aktuellen Krise lautet der Vorwurf der Konservativen genau anders herum. Speaker John Boehner beklagt sich bitter, Obama lehne kategorisch jede Verhandlung ab. Zauderer und Zampano - kann es sein, dass Obama auf der Weltbühne seine Macht nicht nutzt, während er sie daheim überzieht? Die Basis der Demokraten kann darüber nur lachen. Für deren Geschmack wandelt der Drohnenkrieger noch viel zu sehr auf den Spuren George W. Bushs. Gleichzeitig halten sie ihm vor, bei den vorangegangenen Fiskalkrisen zu viel Tafelsilber verschenkt zu haben. Der erste schwarze Präsident im Weißen Haus passt nicht in die Schablonen, die Washington für seine Führer entworfen hat. Der Commander-in-Chief, der den Einsatzbefehl für die riskante Kommando-Aktion gegen Osama bin-Laden gegeben hat, ist derselbe, der versucht, die Supermacht aus dem Bürgerkrieg in Syrien herauszuhalten. Und der Führer, der sein politisches Kapital in die Einführung der ersten allgemeinen Krankenversicherung investiert hat, steckt zurück, wenn ihm der Kongress die Schließung Guantanamos verweigert. Obama musste lernen, mit Zerrbildern zu leben. Allen voran, dass er nicht regieren kann. Er lebt gut damit, weil seine Gegner ihn oft unterschätzen. Als Erste musste das bei den Vorwahlen 2008 Hillary Clinton erfahren. Zuletzt deklassierte er Mitt Romney bei seiner Wiederwahl 2012 mit fünf Millionen Stimmen. Wenn ihm seine Widersacher Schwäche unterstellen, überrascht Obama mit eisernem Willen. Klagen sie über Unnachgiebigkeit, beweist er taktisches Geschick. Der Präsident begreift Politik als die Kunst des Möglichen. Ein Muster, das sich von der Durchsetzung der Jahrhundertreform des Gesundheitswesens bis hin zur Chemiewaffen-Resolution für Syrien verfolgen lässt. Nicht immer schön, aber höchst effektiv. Historiker werden noch lange darüber streiten, ob es an dem Alleingang bei der Gesundheitsreform, dem weiten Rechtsruck der Republikaner, rassistischen Vorurteilen oder handwerklichem Ungeschick des Amtsinhabers lag. Obama schaffte es jedenfalls nicht, sein Versprechen einzulösen, das vielfach gespaltene Amerika zu einen. Das rächt sich in der Fiskal-Krise. Zwischen Obama und Boehner herrscht Eiszeit, seit 2011 der Versuch scheiterte, einen fiskalpolitischen "Grand Bargain" auszuhandeln. Anders als beim letzten Showdown vor 17 Jahren, als Newt Gingrich die Regierung fast eigenhändig lahmlegte, geht die Revolte diesmal von unten aus. Ein paar Dutzend radikale Tea-Party-Rebellen halten Boehner in Geiselhaft. Knickt er ein und erlaubt einer Mehrheit aus moderaten Republikanern und Demokraten, die Staatskrise zu beenden, droht er seinen Job zu verlieren. In einem System der geteilten Regierung braucht es zwei zum Tanz. Das Verhältnis zwischen Obama und den Republikanern ist so zerrüttet, dass die Braut eher den Sprenggürtel zündet, als sich führen lässt. Das Ansehen und die Kreditwürdigkeit der USA drohen zum Kollateralschaden zu werden. Obama weiß, dass er dies verhindern muss. Die offene Frage bleibt: Wie? Der Präsident steht vor der größten Herausforderung seiner Amtszeit.
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