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Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zur Späh-Affäre: "Größtmögliche Blamage" von Holger Schellkopf

Regensburg (ots)

Keine Frage, sollte sich auch nur ein Teil der im Raum stehenden Vorwürfe bestätigen, haben wir es mit einem handfesten Skandal zu tun. Sollten tatsächlich US-Geheimdienste auch nur versucht haben, die deutsche Regierungschefin abzuhören, ist jede Grenze des Erträglichen überschritten. Da spielt es auch keine Rolle, ob Präsident Obama von der Spitzelei wusste oder NSA, CIA oder sonst einer der zahlreichen einschlägig Verdächtigen nicht längst machen, was sie wollen. Es wäre aber viel zu einfach, sich jetzt nur über die USA zu echauffieren. Denn unabhängig vom tatsächlichen Gehalt der Vorwürfe beweist die aktuelle Entwicklung vor allem und endgültig: Der Umgang der schwarz-gelben Regierung mit der gesamten NSA-Affäre ist nichts als eine riesengroße Blamage. All die Beschwichtigungen der Herren Pofalla und Friedrich, ja auch die bisherigen Äußerungen der Kanzlerin, zeugen im Licht der Ereignisse mindestens von größtmöglicher Naivität, wahrscheinlich aber eher von größtmöglicher Gleichgültigkeit - so lange man eben nicht selbst betroffen ist. Lange Zeit hatte auch Merkel den Eindruck erweckt, sie halte die Sorge über PRISM und ähnliche Programme entweder für eine Aufgeregtheit von Journalisten oder aber die Spinnerei dieser Neuland-Bewohner, vulgo Internet-Nutzer. Nicht zu vergessen der Lieblingsspruch der Law-and-Order-Fraktion: Wer nichts zu verbergen hat, der braucht auch nichts zu befürchten. Das gilt nun plötzlich nicht mehr. Die Kanzlerin und ein ganzer Schwung ihrer Regierungsmitglieder würden jetzt vermutlich sehr viel dafür geben, könnten sie die selbst ausgesprochenen Dokumente ihrer Untätigkeit ganz schnell aus den Archiven tilgen. Da finden sich nämlich Aussagen wie die eines Innenministers, der über das "Supergrundrecht Sicherheit" schwadroniert oder die eines Kanzleramtschefs, der einfach mal behauptet: "Die Vorwürfe sind vom Tisch." Man muss also nicht einmal sinnfreie Statements von Laiendarstellern wie dem Unions-Fraktionsgeschäftsführer Michael Grosse-Brömer oder Philipp Mißfelder, immerhin außenpolitischer Sprecher der CDU, bemühen, um zu belegen, wie wenig sich die Union um das Thema geschert hat. Offensichtlich ist man dem eigenen Märchen zum Opfer gefallen, dessen zen-trale Botschaft lautet: Das geschieht alles nur zu eurer eigenen Sicherheit. In Wahrheit geht es hier um einen Krieg der Daten. Es geht um Wissensvorsprung, der politisch und wirtschaftlich zum eigenen Nutzen eingesetzt werden kann. Deshalb ist es aus Sicht der US-Geheimdienste Teil ihres Auftrags, an allen entscheidenden Stellen ihr Wissen zu vermehren. Dass Angela Merkel in Europa eine ganz entscheidende Rolle spielt, ist wohl von niemandem zu bestreiten. Umso erschütternder allerdings, dass sich im Regierungslager offenbar nie jemand die Frage gestellt hat, warum die NSA zwar EU-Botschafter oder den früheren UN-Generalsekretär Kofi Annan ausspäht, nicht aber an der deutschen Bundeskanzlerin interessiert sein sollte. Es ist obendrein ein weiterer Beweis für die offensichtliche Unfähigkeit der deutschen Geheim- und Abwehrdienste. Welch Zufall, dass auch hier die Herren Friedrich und Pofalla verantwortlich zeichnen. Die anstehenden Koalitionsverhandlungen sollten dafür genutzt werden, beide endlich zu befreien - sie haben jetzt ausreichend bewiesen, dass sie ihren Aufgaben nicht gewachsen sind. Die Frage, warum sich Angela Merkel erst für das Thema interessiert, wenn es ums eigene Telefon geht, wird die Bundeskanzlerin den Millionen ebenfalls potenziell betroffenen Deutschen aber schon selbst beantworten müssen.

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