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Mittelbayerische Zeitung: Krank in den Krieg

Regensburg (ots)

Von Katia Meyer-Tien

Die 5174 deutschen Soldaten und Soldatinnen, die momentan im Ausland arbeiten, leben getrennt von ihren Eltern, Partnern und Kindern. Nicht für eine Woche oder zwei, sondern für drei, vier Monate, manchmal sogar länger. Sie sehen zerstörte Häuser, einsame Mütter, weinende Kinder. Maschinengewehre und Panzer sind für sie so selbstverständlich wie für andere Leute das Smartphone, und sie leben mit der Gewissheit, dass sie jederzeit verwundet oder getötet werden könnten. Oder verwunden oder töten müssen. Sie leben in einer Extremsituation. Man sollte meinen, dass für diese Einsätze nur die Besten ausgewählt werden. Niemand käme auf die Idee, einen verwundeten Soldaten mit einem gebrochenen Bein ins Ausland zu schicken. Und das nicht nur aus Menschlichkeit: Ein solcher Soldat taugte im Einsatz nicht viel, und die Kosten, sollte sich seine Verletzung während des Einsatzes verschlimmern, überstiegen wohl den Nutzen seines Einsatzes um ein Vielfaches. Und so müssen sich Soldaten, die in den Auslandseinsatz gehen, schon heute einer Vielzahl von Tests und Untersuchungen unterziehen. Man will sicher gehen, dass sie gesund sind und den körperlichen Anforderungen eines Auslandseinsatzes gewachsen sind. Ob sie aber auch den psychischen Anforderungen gewachsen sind, das wird, so legen die nun veröffentlichten Zahlen der TU Dresden nahe, bei weitem nicht ausreichend untersucht. Und so zieht ein Fünftel der deutschen Soldaten bereits verwundet in den Auslandseinsatz. Seelisch verwundet. Viele wissen selbst nichts davon, andere ahnen, dass sie Probleme haben, scheuen sich aber, es zuzugeben. Zur Scham über die vermeintliche Unzulänglichkeit kommen die Sorge um Arbeitsplatz und Karrierechancen. Man braucht nicht viel Fantasie um sich auszumalen, was es bedeutet, wenn, beispielsweise, Soldaten mit Depressionen in ein Krisengebiet geschickt werden. Vier- bis sechsmal höher sei das Risiko der vorbelasteten Soldaten mit einer neuen, schwereren Erkrankung aus dem Einsatz zurückzukehren, heißt es in der Studie. Von ihnen leiden ganz besonders viele unter posttraumatischen Belastungsstörungen. Kurz PTBS, jener Krankheit, die Schlafstörungen und Angstzustände bedeutet, Schreckhaftigkeit und Aggressivität. Viele von Ihnen brauchen lebenslang psychologische Hilfe. Sie finden den Weg aus dem Krieg zurück ins normale Leben allein nicht mehr. Die Bundeswehr hat inzwischen ein breites Netzwerk für diejenigen Soldaten aufgebaut, die unter PTBS leiden. Psychologische Betreuung, finanzielle Hilfe, eine Telefonhotline. Allein: Es erreicht nur jene, die sich trauen, offen mit ihren Problemen umzugehen. Dass sich viele davor scheuen, zeigt die geringe Behandlungsrate von 10,3 Prozent, die die Dresdner Forscher ermittelt haben. Angstzustände und Depressionen schienen nicht zum Bild und Selbstbild des Soldaten zu passen, Krankheit und Schwäche sind ein Makel, den es zu verbergen gilt. Wenn nun Tests erarbeitet werden, um psychische Störungen schon vor einem Einsatz zu erkennen, ist das ein erster und wichtiger Schritt. Ebensolche Test müssen zur Routine nach Einsätzen gehören. Wichtiger noch als diese Tests aber ist ein Klimawandel, in dem die Kranken nicht stigmatisiert, sondern nach Ihren Möglichkeiten gefördert werden. Wer eine Perspektive sieht, trotz psychischer Probleme Karriere zu machen und Anerkennung zu finden, der wird sich weniger scheuen, seine Probleme anzusprechen. So paradox es klingt: Nur wenn die Bundeswehr die Schwachen nicht aussortiert, kann sie sichergehen, dass sie die Besten bekommt. Und die braucht sie.

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