Mittelbayerische Zeitung: Liberale Selbstbeschwörung
Die FDP hat einen neuen, charismatischen Chef. Doch das allein wird nicht ausreichen. Leitartikel von Reinhard Zweigler
Regensburg (ots)
Fast wie einen Messias haben die sonst so nüchternen Liberalen ihren neuen Parteivorsitzenden Christian Lindner auf dem außerordentlichen Kongress in Berlin gefeiert. Ähnlich stürmisch hatten sie freilich in den Jahren zuvor Guido Westerwelle oder Philipp Rösler bejubelt. Der eine machte die Liberalen einst zur Spaßpartei und verengte sie inhaltlich auf das Steuersenkungsthema. Der andere, der "nette Herr Rösler", scheiterte an der Aufgabe, die FDP wieder zu einer selbstbewussten, liberalen Kraft zu machen. Dass vor allem Rösler, der sich redlich mühte, nun mit Schimpf und Häme vom Hof gejagt wird, hat er nicht verdient. Er ist an den Verkrustungen der Partei gescheitert, die sie sich in den letzten beiden Jahrzehnten zugelegt hatte. Aus der Vasallen-Abhängigkeit von der Union hat Rösler die FDP nicht befreien können, vielleicht auch nicht wollen. Auf dem Parteitag überraschte er mit dem Eingeständnis, dass die alte Führung seinen Kurswechsel boykottiert habe. Vielleicht ist auch das nur Teil der liberalen Selbstbeschwörung, die viele Kapitel kennt. Nun also der charismatische Christian Lindner, der einst von Ex-Parteichef Guido Westerwelle ins Amt gehievt und zuletzt von Übervater Hans-Dietrich Genscher gepuscht worden war. Lindner ist zweifellos ein großes politisches und rhetorisches Talent. Doch das allein wird nicht ausreichen, um die zutiefst verunsicherte Partei wieder aus dem politischen Abseits heraus zu führen. Sie sitzt nur noch in neun Landesparlamenten und in lediglich einer Landesregierung, der in Sachsen. Nach dem Ausscheiden aus dem Bundestag, zu dessen Inventar seit 1949 Liberale gewissermaßen gehören, sind sie zudem von einer wichtigen politischen Bühne verbannt. Auf die beiden "Trümmerfrauen", Lindner und den gleichfalls wortgewaltigen Wolfgang Kubicki als seinen ersten Stellvertreter, kommt eine riesige Kärrneraufgabe zu. Sie müssen den Laden zusammenhalten, programmatisch erneuern und die "Marke FDP" in der Öffentlichkeit präsent halten. Da können die 1400 Tage bis zur nächsten Bundestagswahl verdammt lang und einsam werden. Lindner startete zumindest mit einem langersehnten Befreiungsschlag. Anders als unter Westerwelle und Rösler soll die FDP nicht länger ein Anhängsel der Union sein. Das hatte sich zuletzt weder im Bund noch in Bayern für die Liberalen ausgezahlt, sie wurden von Angela Merkel und Horst Seehofer schlichtweg "untergebuttert". Aber auch eine sozialliberale Renaissance wird es mit Lindner nicht geben. Die FDP muss wieder selbst mit ihren Idealen, dem verschütteten Freiheitsgedanken, Bürgerrechten, sozialer Marktwirtschaft, um Zustimmung werben. Das ist gut so. Und ausgemacht ist eine parlamentarische Wiedergeburt der FDP im Bund in vier Jahren noch lange nicht. Um das liberale Erbe balgen sich nicht nur die "national-ökonomischen Bauernfänger" von der Alternative für Deutschland, sondern auch die Sozialdemokraten und die Union. Die FDP sollte erkennen, dass sie kein Monopol auf modernes liberales Gedankengut und liberale Programmatik besitzt. Sie ist jetzt "ganz unten angekommen", wie der bayerische Landeschef Albert Duin bemerkte. Freilich ist die FDP mittlerweile so tief unten, dass es eigentlich nur noch nach oben gehen kann. Und andererseits liefert die Groß-Koalition der drei Sozial-Parteien, CDU, CSU und SPD, genügend Stoff, an dem sich liberale Ideen entzünden können.
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